Der Designer und sein Werk

DIE MACHT IM DFB Der kann alles, außer Hochdeutsch. Nach der epochalen 4:0-Demontage des vormaligen Titelfavoriten Argentinien verkündet Bundestrainer Joachim Löw vor allem eine Botschaft: Ruhig bleiben!

Es ist eine Art Ingenieurskunst, die der nette Herr Löw an 23 Spielern vollführt: deutsche Wertarbeit, Akribie, Voraussicht

AUS ERASMIA MARKUS VÖLKER

Joachim Löw sah aus, als hätte er ein Trainingsspiel gegen die Auswahl der Provinz La Pampa gewonnen. Nichts in seiner Mimik deutete darauf hin, dass seiner Mannschaft gerade ein epochaler Sieg gelungen war. „’s isch halt schon au so“, sagte er in seinem badischen Singsang, „wenn man so spielt, schlägt man Argentinien 4:0.“ Dabei hatten sie den Titelfavoriten gedemütigt, ihm nicht den Hauch einer Chance gelassen. Wie geprügelte Hunde schlichen die Verlierer in die Kabine des Kapstädter Stadions. Maradona sah aus, als brauchte er jetzt starke Psychopharmaka, um seine heraufziehende Depression zu bekämpfen.

Messi war 90 Minuten auf der Suche nach sich selbst, fand ihn aber nicht, den Dribbelkünstler und Kunstschützen. Argentinien war demontiert worden von einer deutschen Mannschaft, die alles richtig gemacht hatte. Und was tat Löw angesichts der fast schon historischen Ereignisse? Er blieb cool. Andere hätten sich von der Bugwelle des Erfolgs wegtragen, hätten sich treiben lassen im Meer der Selbstgefälligkeit; nicht so der Bundestrainer, der genau weiß, dass noch zwei Partien zu spielen sind. Sein Team braucht ihn noch als nüchternen Analytiker und gewieften Taktiker. Also: Ruhe bewahren! Denn jetzt kommt Spanien.

„Die Mannschaft hat, sag ich jetzt mal, ein Willing gezeigt von Champions.“ Das war so ein typischer Löw-Satz nach dem Spiel. Unaufgeregt, ein bisschen holprig, aber nicht verkehrt. Man hat den Eindruck, dass sich dieser Typ, der von den Pretoria News zum bestangezogenen Trainer des Turnier gekürt wurde, nicht verstellt. Löw ist ein Muster an Authentizität. Das schafft Vertrauen beim Publikum – und bei den Spielern. Er befriedigt eine Sehnsucht nach Echtheit, die man auf der Bühne der Politik und der bunten Unterhaltung oftmals vergeblich sucht. Löw ist so unprätentiös, dass ihn logischerweise alle Welt nur „Jogi“ nennt – oder gar den „Jogi-Meister“, Initiator des Wintermärchens 2010. Wie ein Statiker, der stolz ist auf seinen Brückenbau, oder wie ein Autobauer, der ein Gefährt mit einem Benzinverbrauch von 2 Litern auf 100 Kilometer erfunden hat, so ist Joachim Löw, 50, geboren in Schönau, stolz auf das Tuning seiner Mannschaft.

Es ist eine Art Ingenieurskunst, die Löw an 23 Spielern vollführt: deutsche Wertarbeit, Akribie, Voraussicht. Löw kann alles, außer Hochdeutsch. Dieser Bundestrainer hat es geschafft, dass die Nationalmannschaft zu einer Werkstatt geworden ist, in der ständig gefriemelt wird. Ein Psychologe optimiert die Einstellung. Ein Scout durchleuchtet andere Teams mit Röntgenblick. Fitnessexperten trimmen die Spieler derart, dass die internationale Presse nur noch von der „German machine“ spricht. Und siehe da: Die jungen Spieler blühen auf, Bundesliga-Problemfälle wie Lukas Podolski und Miroslav Klose werden zu Leistungsträgern in der Startelf, das Spiel der Deutschen wird dank Löws Offensivfimmel gänzlich undeutsch. Zu bestaunen ist ein fußballerisches Gesamtkunstwerk, ein geöltes Räderwerk, dessen Funktionieren Löw täglich überwacht. Seine Wertarbeit ist aber auch schön. Er könnte damit Designpreise gewinnen. Das Spiel von Schweinsteiger, Özil und Co. generiert Wow-Effekte und Aha-Erlebnisse sonder Zahl. Es liegt wie ein Handschmeichler in der Faust der Fans. Die können richtig gut Fußball spielen – das ist die Erkenntnis der Stunde.

Löw ist dem Fußball verfallen, ein Besessener ist er deswegen aber noch lange nicht. Dafür erledigt er die Arbeit viel zu locker und unaufgeregt. Löw ist vielmehr seit sieben Wochen in seinem Element: Endlich kann er täglich mit Spielern arbeiten, sie formen und anleiten. Er ist kein Teammanager, der die Arbeit auf dem Platz von Paladinen erledigen lässt. Löw, der Übungsleiter, gestaltet ganz unmittelbar auf dem Rasen, räsoniert über das „Spiel in die Spitze“, über die „Seriensprintsportart Fußball“, über „Passen und Laufen“ und die „Schulung der Kombinationen zur Automatisierung“. Das klingt nach Schufterei nah an der Grasnarbe, und genau diese Schufterei ist es, die Löw mit religiösem Ethos erledigt.

Das alles mag man gar nicht glauben, wenn er nach getaner Arbeit im Anzug von Strenesse wie aus dem Ei gepellt und nicht ohne Anflug von Eitelkeit vor die Presse tritt. Aber auch das kann er: einen guten Eindruck machen, den netten Herrn Löw spielen.

Dass der nette Herr Löw auch anders kann, ist seit den gescheiterten Vertragsverhandlungen mit dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) bekannt. Offiziell ist Löw seit dem 1. Juli nicht mehr Bundestrainer. „Aber sie können davon ausgehen, dass ich bis zum Ende des Turniers Bundestrainer bin“, sagte er dieser Tage. Aber was kommt nach dem 11. Juli, wenn das Finale in Johannesburg gespielt ist? Da schweigt Löw sich aus. Am Wochenende aber hat er derart vom Dasein eines Vereinstrainers geschwärmt, dass der Eindruck entstehen musste, er würde lieber heute als morgen bei einem Team im Ligabetrieb anheuern. Auf Spiegel Online sagte er: „Als Vereinstrainer kann ich über einen langen Zeitraum mit einer Mannschaft und auch individuell mit jedem einzelnen Spieler arbeiten.“ Er kennt das aus seiner Zeit beim VfB Stuttgart, beim FC Tirol oder bei Austria Wien. Dekoriert mit dem Titel, nach dem seine Elf mit spielerischer Leichtigkeit greift, sollte Joachim Löw ein paar bessere Angebote bekommen.