Früherer SS-Mann entgeht der Bestrafung

NAZIS Richterin stellt Prozess gegen 92-Jährigen wegen fehlender Zeugen ein. Ermittlungen gegen NS-Verbrecher gehen weiter

Sämtliche Zeugen waren bei Prozessbeginn längst verstorben

VON KLAUS HILLENBRAND

BERLIN taz | Siert Bruins ist ein freier Mann. Der 92 Jahre alte frühere SS-Freiwillige konnte am Mittwoch das Landgericht in Hagen nach Hause verlassen. Statt ein Urteil zu fällen, stellte das Gericht das Verfahren gegen Bruins ein. Es sei nicht mehr möglich gewesen, Zeugen zu befragen, sagte Richterin Heike Hartmann-Garschagen zur Begründung. Dadurch sei ein Beweis der Tat nicht mehr möglich.

Der Anklagevertreter Andreas Brendel von der Staatsanwaltschaft Dortmund hatte eine lebenslange Freiheitsstrafe für den rüstigen Rentner aus dem westfälischen Breckerfeld beantragt. Aufgrund der Beweisaufnahme sei davon auszugehen, dass sich Bruins des Mordes schuldig gemacht habe, so Brendel.

Mit der Verfahrenseinstellung bleibt der Mord an dem niederländischen Widerstandskämpfer Aldert Klaas Dijkema vor 70 Jahren ungesühnt. Der 36-Jährige wurde, so viel scheint auch nach Einstellung des Verfahrens sicher, von der SS erschossen. „Geh mal pissen“, sollen Siert Bruins und sein Vorgesetzter August Neuhäuser dem Widerstandskämpfer befohlen haben, als ihr Wagen in der Nähe der Stadt Appingedam anhielt. Dann wurde er hinterrücks erschossen, „auf der Flucht“, wie es später zur Begründung hieß.

Mit der Einstellung des Verfahrens erntet Siert Bruins die Früchte seiner jahrzehntelangen Flucht. Denn der aufgrund eines Hitler-Erlasses eingedeutschte Niederländer wurde wegen der Tat schon einmal verurteilt – 1949 in Holland. Doch das Urteil erging in Abwesenheit, der Angeklagte war nach Deutschland geflohen. Dort änderte er seinen Namen in Siegfried Bruns. Als Produzent von Gartenzäunen ließ er sich in der Kleinstadt Breckerfeld nieder und führte ein unauffälliges Leben.

Erst 1978 enttarnte der Nazi-Jäger Simon Wiesenthal den früheren SS-Mann. Doch zu einem Prozess kam es zunächst nicht. Die deutschen Behörden verweigerten eine Auslieferung an die Niederlande, da Bruins ja inzwischen deutscher Staatsangehöriger war. Eigene Ermittlungen wurden eingestellt, denn der Tat fehle, so die damalige Begründung, die Heimtücke und damit das Mordmerkmal.

Erst wegen einer anderen Tat, dem Mord an zwei jüdischen Brüdern im April 1945, musste sich Bruins vor einem deutschen Gericht verantworten. Das Landgericht Hagen verurteilte ihn 1980 wegen Beihilfe zum Mord zu sieben Jahren Gefängnis.

Das am Mittwoch mit der Einstellung beendete Verfahren kam erst in Gang, als sämtliche Zeugen bereits verstorben waren, darunter auch Neuhäuser. So musste sich das Gericht mit der Verlesung von alten Aussagen begnügen. Bruins selbst bestritt die Tat und sagte aus, sein Vorgesetzter habe geschossen. Das Fehlen von verwertbaren Aussagen lebender Zeugen bewog die Richterin nun zur Einstellung des Prozesses.

Neues Verfahren gegen 88-jährigen Kölner

Für den Dortmunder Staatsanwalt Brendel ist die Verfahrenseinstellung eine Niederlage. Doch seine Arbeit geht weiter. Ebenfalls am Mittwoch wurde bekannt, dass Brendel Anklage gegen einen 88 Jahre alten Kölner erhoben hat. Der Mann soll als Angehöriger eines SS-Panzergrenadier-Regiments an dem Massaker in dem französischen Dorf Oradour-sur-Glane beteiligt gewesen sein. Dort waren am 10. Juni 1944 alle 624 Bewohner, darunter 207 Kinder, ermordet worden.

Der wegen gemeinschaftlich begangenen Mordes angeklagte Kölner war zum Tatzeitpunkt erst 19 Jahre alt. Deshalb muss der 88-Jährige sich möglicherweise vor einem Jugendgericht verantworten.