MARTIN KAUL ÜBER DEN STELLENWERT DES EUROPÄISCHEN SOZIALFORUMS
: Große Kämpfe, kleine Kämpfe

Hat das Europäische Sozialforum (ESF) eine Antwort auf die Krise des Kapitalismus? Nein. Organisiert es in Zeiten grenzüberschreitenden Sozialkahlschlags nachhaltige Proteste? Nein. Hat es überhaupt noch einen Stellenwert? Durchaus. Denn entgegen allem Anschein ist der Weg des Europäischen Sozialforums auch eine Erfolgsgeschichte. Aus der müssen jetzt die richtigen Schlüsse gezogen werden.

Erstens: Das Sozialforum muss sich als Bewegungswerkstatt erneuern. Zweitens: Es darf nicht mit falschen Erwartungen überfrachtet werden. Wieso muss es sich erneuern? Ganz einfach: Das ESF ist längst kein Happening mehr, sondern ein schwerer Happen. Die Betriebskultur ist ermüdend, das Durchschnittsalter zu hoch, die Stimmung betäubend. Wer beim ESF zu den bewegungsfreudigen Avantgardisten zählen will, muss stundenlange Debatten mit gerne mal neun PodiantInnen überstehen. Dennoch: Als einziger europäischer Großaustausch für Bewegte ist das ESF bislang weitgehend alternativlos.

Der Prozess der europäischen Vernetzung sozialer Bewegungen ist ein Lernprozess, der eine wichtige Hürde bereits genommen hat. Nämlich die, auf Laberveranstaltungen auch verzichten zu können. Wer in Europa etwas bewegen will, lässt sich nicht kleinkämpfen, sondern kämpft bereits im Kleinen. Das zeigt der europaweite Protestaufruf für den September, das zeigen internationale Gruppen wie Amnesty International oder die Solidaritätsarbeit für Palästina.

Keine Frage: Will das europaweite Bewegungsforum künftig noch Bedeutung haben, muss es attraktiver werden. Aber wer in Europa etwas bewegen will, wartet ohnehin nicht auf große Signale, sondern hat den Schuss längst gehört.

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