Mittwochnacht in Tokio

Der Kunstpreis-Ausstellung der Stadt Bonn zeigt den Videokünstler Jan Verbeek. Er installiert eine dokumentarisch-helle Arbeit, die eine düstere Vision enthält – das Leben in der anonymen Masse

VON PETER ORTMANN

Der Wagon ist zum Bersten voll. Die letzten Passagiere werden von Außen hineingepresst. Uniformierte Helfer mit Schirmmütze und weißen Handschuhen sorgen für das Schließen der U-Bahn-Türen. Wenn der Zug anfährt, befolgen sie rituelles Verbeugen und Grüßen. Modellfall Nordrhein-Westfalen? Nein. Es ist Mittwochnacht in Tokio. In fünfeinhalb Minuten zeigt der Bonner Videokünstler Jan Verbeek (40) eine Quetsch-Performance par exellence – ein zufälliges Ballett der Alltäglichkeit.

Für den Film erhielt er 2004 den Kunstpreis der ehemaligen Bundeshauptstadt. Seit über 20 Jahren wird der jährlich an eine Künstlerin oder einen Künstler der Region vergeben. Der Preisträger erhält dann im Kunstmuseum eine Ausstellung. Neben dem Gewinner-Video zeigt Verbeek, der bei Nan Hoover und Nam June Paik in Düsseldorf und Köln studiert hat und jetzt abwechselnd in Tokio und Bonn lebt, mit „Bright Future Ahead“ eine neue audio-visuelle Installation aus technisch komponierten Geräuschen und getrimmten Dokumentarschnittfolgen.

Da ist der Besucher im weißen Raum erst einmal allein mit vier Beamern, die anfangs die gleichen Bilder abstrahlen. Doch in dem Viertelstündchen Film kommen an den vier Wänden noch ganze Menschenmassen poetisch zum Einsatz. Eine unmerkliche Dramaturgie verrückt nun die Video-Sequenzen nebst Ton, die Wände beginnen miteinander zu konkurrieren, die Zeitstruktur klafft immer weiter auseinander. Wenn man sich nun noch selbst im Kreis dreht, um die Veränderungen zu fassen, wird man – in Realtime – sogar ein Teil des künstlerisch-ästhetischen Gesamtkonzepts, das gelebte Realität wohl mit Hilfe eines geheimen Ordnungsprinzips der anonymen Menschenmasse erfassen will.

Dieses Prinzip der Ordnung scheint von der Natur abgeschaut. Zwischendurch wiegt sich ein rotes Mohnfeld im Takt, die Blüten wogen hin und her, wie die Menschen beim Ein- und Ausstieg in ihr tägliches Transportsystem. Der Tanz der Beine, die Choreografie der Hände an den Halte-Ringen scheint von dieser natürlichen Ordnung durchdrungen. Alles untermalt von selbst komponierter Musik des Künstlers, die wie ein anschwillender Chor manchmal bedrohlich wirken will. Denn auch wenn draußen junge Frauen in Bikinis vorbeirauschen, versuchen, die Blicke auf ihre Werbetafeln zu ziehen – das Individuum kann nicht mehr aus der gepressten Masse fliehen, flüchtet sich hier und da lieber in die Einsamkeit einer Ecke oder starrt gebannt aufs luxuriöse Handy.

Doch selbst da bleibt es Teile strukturierter Systeme und scheinbar automatisierter Handlungsabläufe – ein dokumentarisch ästhetischer Blick in eine doch eigentlich gepriesene technologische Zukunft, die dann eher Besorgnis hervorruft. Denn auch auf der Bonner Museumsmeile hat Orwell längst begonnen. Im automatisierten Parkhaus einer Frankfurter Firma gibt es nur noch die ausbeuterische Parkzeit-Wahl zwischen einer halben Stunde und einem ganzen Tag. Leben, ÖPNV, Parken: Friss oder stirb. Dazwischen ist nur noch Leere, deren Automatismen schon lange nicht mehr mit sich reden lassen.

Bis 6. August 2006Infos: 0228-776260