„In einer Täter-Nachfolge“

FILMPREMIERE Der Dokumentarfilm „Das radikal Böse“ lässt die Täter sprechen

■ 45, Leiter des Studienzentrums der KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Er promovierte zur Täterforschung.

taz: Warum wirkt die KZ-Gedenkstätte Neuengamme bei der Premiere von „Das radikal Böse“ mit, Herr von Wrochem?

Oliver von Wrochem: Das ist ein sehr guter Film, um sich der Thematik auf innovative Weise anzunähern. Der Regisseur Stefan Ruzowitzky hat sich entschieden, die Täter des Dritten Reichs selbst sprechen zu lassen. Er tut dies durch Originalzitate aus Briefen, Tagebüchern und Prozessakten.

Was ist die Frage hinter dem Film?

Es geht darum, wie Menschen im Dritten Reich fähig waren, zu morden. Einerseits geht es um die Frage, wie das Regime Menschen dazu gebracht hat, zu töten. Andererseits wird behandelt, dass auch Menschen von sich aus zu Mördern wurden. Der Film behandelt einen Aspekt des Krieges, der bislang noch nicht im Vordergrund stand: die Massenerschießungen in den rückwärtigen Gebieten der Kriegsschauplätze in Osteuropa. Dort wurde die jüdische Bevölkerung systematisch ermordet.

Warum ist es wichtig, sich mit den Tätern zu beschäftigen?

In der Öffentlichkeit, besonders an Schulen, wird überwiegend über die Opfer gesprochen. Das ist natürlich sehr wichtig, aber es besteht die Gefahr, dass die Ursachen darüber aus dem Blick geraten. Wir leben in einer Gesellschaft, wo viele Menschen noch lebende Angehörige haben, Eltern, Großeltern oder Urgroßeltern, die im Dritten Reich Mitläufer, Zuschauer und Täter waren. Es gab ja nicht nur prominente Nazis, sondern viele sozusagen namenlose Menschen, die gemordet haben.

Sie geben auch Seminare für die Nachkommen von Tätern.

Ja, es gibt eine große Nachfrage in dem Bereich. Es ist eine aktuelle Entwicklung, dass sich auch die Enkelgeneration damit befasst. Viele Menschen machen sich erst jetzt bewusst, dass sie in einer Täter-Nachfolge leben und teilweise in ihrer eigenen Familie mit Tätern Umgang haben.

Woran liegt es, dass Menschen jetzt bereit sind, sich mit diesem Erbe zu befassen?

Die Täterforschung hat sich verändert. Vor dreißig Jahren konzentrierte man sich auf die großen Namen und die bekannten Verbrecherorganisationen wie SS und Gestapo. Heute untersucht man eher größere Gruppen wie die Wehrmacht, Polizei und Reichsbahn. So wurde die Grundlage geschaffen, dass sich viel mehr Leute mit dem Thema beschäftigen können.INTERVIEW: MBW

20 Uhr, Abaton, Allendeplatz 3, zu Gast ist unter anderem Regisseur Stefan Ruzowitzky