Muslimischer Hindu

Shashi Tharoor erzählt das Leben von Pandit Nehru, Indiens Premier nach der Unabhängigkeit. Das ist spannend und doch zu akademisch

VON RENÉE ZUCKER

Wenn das nicht ein Inder ist, von denen wir auch gern ein paar hätten. Aber so einer will vermutlich überallhin – nur nicht hierher: Shashi Tharoor, 1956 in London geboren, aufgewachsen in Bombay und Kalkutta, Studium unter anderem in den USA. Seit Ende der Siebziger arbeitet er bei den Vereinten Nationen, er war Assistent von Kofi Annan, dem er dieses Buch widmete, und leitet nun die Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit der UNO.

Auf Deutsch ist schon sein „Großer Roman Indiens“ erschienen, später dann „Indien zwischen Mythos und Moderne“. Also könnte man sich auf die Geschichte des Pandit Nehru freuen, wenn – ja wenn dieses Buch nicht wirklich allzu zäh zu lesen wäre.

Dabei fängt die Geschichte so poetisch und richtig indisch an: Ein Mann aus Allahabad pilgert mit zwei Brahmanen nach Rishikesh, einer jener heiligen Hindu-Stätten am Fuße des Himalaja, durch die der noch junge Ganges fließt. Der junge Rechtsanwalt hatte nach dem Tod seiner Frau und eines Kinds wieder geheiratet und erneut einen Sohn verloren, dann musste er nach dem Tod seines Bruders die Verantwortung für dessen Witwe und sieben Kinder übernehmen. Trotz alledem wünschte er sich immer noch einen eigenen Sohn und ging zu einem Yogi.

Der beschied ihm erst lebenslange Kinderlosigkeit, ließ sich dann aber zu einer kleinen „Wunderzeremonie“ überreden, wonach zwar der Yogi starb, aber dem Mann ein Sohn geboren wurde. Und das war der kleine Jawaharlal, uns vermutlich wegen der Unaussprechlichkeit seines Vornamens auch als Pandit Nehru bekannt. Dabei bezeichnet Pandit nur, dass er ein kaschmirischer Hindu und nicht muslimisch war, wie sonst die Mehrzahl der Kaschmirer. Allerdings hatten die Kauls, wie sie vorher hießen, Kaschmir schon im 18. Jahrhundert verlassen, waren aber immer noch stolz auf ihre Herkunft.

Auch politisch mangelt es nicht an aufregenden Ereignissen. Da ist der Kampf gegen die Kolonialmacht der Briten, die Staatsgründung und die zentrale Rolle des ersten Premiers Nehru, dessen Nachkommen Indira und Rajiv Gandhi ebenfalls Regierungschefs waren. Da gibt es Nehrus Freundschaft mit Mahatma Gandhi, Intrigen in der Kongresspartei und Nehrus Affinität zur Sowjetunion. Zudem geht es darum, wie Gandhi und Nehru getrennte Wege gehen, wie Pakistan nach der Unabhängigkeit von Indien abgeteilt wurde – und nicht zuletzt darum, wie ein riesiger Staat mit so vielen Ethnien politisch überlebt. Das alles klingt nach einem nahezu unmöglichen Unterfangen, um es in der Biografie eines einzelnen Menschen zu erzählen. Und das ist es. Die vielen Fakten zwingen Tharoor dazu, eher die Chronologie der Ereignisse in den Vordergrund zu stellen als den Charakter Nehrus.

Vielleicht sind aber auch nicht politische Laien die Adressaten dieses Buchs. Um es zu goutieren, muss man offenbar mehr an Parteiengeschichte interessiert sein und nicht vor allem an dem Mann, dem so viele Liebschaften nachgesagt wurden. So soll er etwa auch eine sehr romantische Beziehung zu Edwina Mountbatten gehabt haben, der Gattin des englischen Oberkommandierenden der Truppen in Indien. Und da ist man natürlich sehr schnell im Indien der großen kolonialen und nachkolonialen Erzählungen.

Aber davon will Tharoor nicht wirklich etwas wissen, vermutlich zu Recht und aus Respekt vor dem großen Staatsmann, der so verehrt wie umstritten war. Von ihm hieß es, er sei der Erziehung nach Engländer, von seiner Kultur her Muslim und zufällig ein geborener Hindu – dies war kritisch gemeint, aber für den multireligiösen Vielvölkerstaat Indien könnte man es geradezu als einen Segen bezeichnen.

So trocken und pappig Tharoor schreibt, so kenntnisreich ist er allerdings auch. Nur am Ende seines Buchs, wenn es um die Zeit nach Nehrus Tod geht, da erlaubt er sich wieder ein wenig mehr Freiheit und Gefühle bei seinem Thema und seiner Figur. Und als Leser ist man dann wieder ein bisschen versöhnt.

Wer sich allerdings ein lebendigeres Buch wünscht, sollte lieber zu Tariq Alis Klassiker „Die Nehrus und die Gandhis“ greifen.

Shashi Tharoor: „Die Erfindung Indiens. Das Leben des Pandit Nehru“. Aus dem Englischen von Peter Knecht. Insel Verlag, Frankfurt am Main 2006, 19,80 Euro