Die Tiere sind unruhig

Ganz ohne Ironie: Das Dortmunder Konzerthaus bittet den Pop in den Tempel. Ab September spielen vier Deutschpopbands im gebohnerten Ambiente der Klassik-Institution. Das Ziel: Glitzernde Abende erschaffen, so legendär wie MTV unplugged

„Natürlich ist es nicht so gedacht, dass die Leute unseren schönen Konzertsaal ramponieren“

VON BORIS R. ROSENKRANZ

Ach so, Ironie. Na, dann ist ja alles klar. Zunächst dachte man noch an rauschende Feste und Abrisspartys, als man die Fotos zum ersten Mal sah. Aber jetzt, da die Frau am Telefon sagt, dass alles nicht so gemeint sei, ist der Blick freilich geschärft. Die Frau sagt: „Natürlich ist das eine ironische Kampagne und es ist auch nicht so gedacht, dass die Leute unseren schönen Konzertsaal ramponieren.“ Moment mal: die Leute? Ramponieren? Das muss man jetzt erklären. Also von vorn.

Die Frau ist Pressesprecherin am Dortmunder Konzerthaus. Dort, wo Orchester üblicherweise Vivaldi oder Beethoven gegen die Wände schmettern, soll im Herbst eine Reihe starten, die das Haus als einmalig in der bundesrepublikanischen Konzerthauslandschaft bewirbt. Die Reihe heißt „Pop im Konzerthaus“ und die Berechtigung vor Ort zu sein, wenn Deutschpopbands wie Blumfeld oder Glashaus „unplugged“ aufspielen, nennt sich Popabo (gelesen: Pop-Abo, und nicht: Po-pa-bo). Vier Konzerte wird es geben, als Paket verkauft. Zu einem Spottpreis: Wer weit vorne sitzen will, zahlt für einen Abend umgerechnet 18 Euro 50. Wer lieber hinten hockt, bloß 4 Euro 50.

Besagte Fotos, mit denen die chronisch unterfinanzierte Klassik-Institution derzeit für ihren Pop-Ausflug wirbt, zeigen den Konzertsaal: hellen Bohnerboden, dunkel bepolsterte Stuhlreihen, alles in allem sehr akkurat – sieht man von den Bierpullen ab, den Schuhabdrücken auf der Stuhllehne, der Kippe, die sich gerade ins Parkett schmurgelt, nachdem sie bereits ein ausgefranstes Loch im Sitzpolster hinterlassen hat.

Ausgedacht hat sich die Werbekampagne die Hamburger Agentur Jung von Matt, die schon so hohle Sprüche wie „Geiz ist geil“ verbrochen hat oder: „Bild dir deine Meinung“. Und nun das. Total ironisch. Abgefahren. Cool.

Die Wirklichkeit ist freilich bedeutend steriler. Getränke, egal ob Bier oder Limo, sind im heiligen Konzertsaal genauso verpönt wie qualmende Kippen. Aber das Dortmunder Konzerthaus will auch keine ordinären Konzerte anbieten, sondern glitzernde Abende erschaffen, ebenso cool wie die Kampagne. MTV unplugged zum Beispiel, die legendäre Intim-Konzert-Reihe des Musiksenders – das ist schon eher die Liga, in der das Dortmunder Konzerthaus mitspielen möchte. Auch wenn noch gar nicht klar ist, ob die Konzerte in Dortmund, wie bei MTV üblich, mitgeschnitten und auf CD gepresst werden (dürfen). Ach ja, und noch etwas, noch ein Unterschied: MTV bat nicht jede x-beliebige Sangesgöre darum, ihren Schmalz abzulassen.

Klar: Es soll Menschen geben, die gerne Glashaus hören, dieses Rödelheim-Softreim-Projekt des Rap-Schwergewichts Moses P. Beim Kuscheln zum Beispiel. Wenn der Freund gerade von einer anstrengenden Woche beim Bund heimgekehrt ist und sich die Tiefkühlpizza noch im Magen kugelt. Auch hat man schon davon gehört, dass die kreuzbiedere Österreicherin Christina Stürmer („Geh Nicht Wenn Du Kommst“) so genannte Fans hat. Soll sie. Trotzdem ist es besser, wenn Frollein Stürmer liegt. Und zwar in einem CD-Spieler. Im Kinderzimmer oder so, Hauptsache weit weg.

Tja, und dann kommen noch Blumfeld und Kante. Das, würde man eigentlich sagen, wird ganz groß. Die so genannten Diskurspop-Bands aus Hamburg zählen zu den gehaltvollsten unter den Deutschkombos. Wenn Blumfeld nicht unlängst das bräsige Album „Verbotene Früchte“ vorgelegt hätten, einen vertonten Natur-Workshop für Kinder von Pro-Tier-Aktivisten. Aber gut, vielleicht qualifiziert gerade das für einen Auftritt im Konzerthaus. Die neue Blumfeld-Platte ist unkompliziert, ein bisschen gaga und gefällt sogar Mutti. Vielleicht ist sie aber auch einfach genau so ironisch wie die Popabo-Kampagne. Sänger Jochen Distelmeyer sitzt vermutlich gerade irgendwo vor einem Landhaus, trinkt Weißwein und hält sich den Bauch vor Lachen, dass Kritiker seine Singsätze wirklich ernst genommen haben. Den hier etwa: „Er will für jeden Baum das Beste/So tut er, was er kann/Er hegt Stamm und pflegt die Äste/Er ist: Der Apfelmann“.

Letztlich wird man doch hingehen, in eben jener von MTV geschulten Hoffnung, womöglich ein, zwei bislang ungehörte Akustik-Interpretationen alter Stücke serviert zu bekommen. Genau hier liegt der Reiz dieser Reihe. Auch wenn man dabei sitzt und verdurstet. Und auf brandneue Ware wartet: Kante nämlich, die im November die Dortmunder Bühne betreten, bringen im August ihr neues Album heraus. Gute Zeit für gute Musik. Auch wenn der Feld-Wald-Wiesen-Virus, dem schon Blumfeld anheim gefallen sind, offenbar auch Kante zugesetzt hat. Auf ihrer Homepage zeigen sich die Herren um Ex-Blumfeld-Bassist Peter Thiessen in Bärenkostümen. Und die neue Platte heißt: „Die Tiere sind unruhig.“

Angst.

„Pop im Konzerthaus“, Dortmund, 9.9. Glashaus, 4.11. Kante, 8.12., Blumfeld, 31.5.2007 Christina Stürmer, Tickets: 01805-448044