„Alter Wein in neuen Schläuchen“

Die NRW-Integrationsinitiative bringt nichts Neues. Ein Gastkommentar von SPD-Bundespolitikerin Lale Akgün

Noch wird in der Republik hitzig über die Vor- und Nachteile von Wettbewerbs- auf der einen und solidarischem Föderalismus auf der anderen Seite diskutiert – da betritt Nordrhein-Westfalen mit einem „20-Punkte Aktionsplan zur Integration“ den Ring, um den Wettbewerb um die beste Integrationspolitik zu eröffnen.

Die Landesregierung scheint begriffen zu haben: Wer sein Land zukunftsfähig machen will, der muss den Wettbewerb um die Humanressource „Zuwanderer“ gewinnen. Anscheinend hofft man, dass jede und jeder Zugewanderte umgehend seine Koffer packt und in das schöne neue „Land der Integrationschancen“ an Rhein und Ruhr umsiedelt.

Bei der Lektüre des Aktionsplans aber wird schnell klar: So neu sind die Chancen gar nicht. Wer die 20 Punkte aufmerksam durchliest, den beschleicht das dumpfe Gefühl eines Déjà-Vus. Keiner der Vorschläge ist wirklich neu. All das, was gefordert wird, ist schon längst Realität, sei es in Bezug auf die Wohlfahrtsverbände oder die Familienzentren. Wir haben es also nicht mit einem Aktionsplan sondern mit einer Bestandsaufnahme zu tun. Eine Bestandsaufnahme dessen, was in der Integrationspolitik in Land und Kommune in den vergangenen 40 Jahren bereits erreicht wurde. Es ist nicht wenig, was Einheimische und Zugewanderte gemeinsam bereits entwickelt haben.

Daher ist auch beinahe alles, was im Aktionsplan steht, richtig und wichtig. In der Materie gibt es kaum etwas zu kritisieren. Chapeau, Herr Laschet, könnte man sagen. Glückwunsch zu Ihrer lupenreinen, „modernen“ Integrationspolitik. Sie verstehen es trefflich, alten Wein in neue Schläuche zu gießen.

Chapeau auch dafür, wie Sie Ihre Rolle als „good guy“ der christdemokratischen Integrationspolitik spielen. Mit dem Aktionsplan hat sich NRW gut in Stellung gebracht für den Integrationsgipfel. Man muss schon zwischen den Zeilen lesen und die Widersprüche aufdecken, um zu verstehen, wes Kind wirklich hinter den 20 Punkten steckt.

Die Hälfte des Aktionsplans beschäftigt sich mit Bildung, dagegen ist nichts einzuwenden, aber Bildungsdefizite haben nicht nur Kinder mit Migrationsgrund, sondern alle sozial benachteiligten Kinder.

Ein Beispiel: Ein Kind aus einer iranischen Medizinerfamilie braucht mit großer Wahrscheinlichkeit keinen vorschulischen Sprachkurs. Das Kind einer deutschen, bildungsfernen Familie aber mit großer Wahrscheinlichkeit sehr wohl. Alle Kinder aus sozial benachteiligten Familien zu fördern, würde aber mehr Geld für die koordinierenden Ministerien bedeuten, und das sieht der Aktionsplan an keiner Stelle vor.

Andere Punkte sorgen für Erstaunen: So ist es zum Beispiel nicht einsichtig, wieso gerade diejenigen, die vehement für die Verschärfung der Einbürgerungsvoraussetzungen eintreten, nun mit einer Kampagne die Einbürgerungszahlen steigern wollen.

Der größte Coup ist aber der Bereich Kultur. Wir erinnern uns: Seit Monaten rufen führende CDU/CSU-Politiker, dass „Multikulti“ tot sei. „Multikulti“ ist in diesem Zusammenhang ein abschätziger Begriff für die multikulturelle Gesellschaft. In dem Aktionsplan tauchen Begriffe wie Wertesysteme, Tradition und Glaubensrichtungen auf. Man beschwört den Austausch zwischen den hier lebenden Kulturgruppen und bekennt sich zur Achtung kultureller und religiöser Differenzen. Ist das nicht die Beschreibung einer multikulturellen Gesellschaft? Ja natürlich, nur – wenn es die anderen verlangen, ist es „Multikulti“, wenn es die CDU in ihr Programm schreibt, knallharte Integrationspolitik.