Der missverstandene Feinsinnige

Frankreichs Trainer Raymond Domenech gilt als unverbesserlicher Dickschädel, lässt defensiven Fußball spielen und ist in der Heimat so unbeliebt, dass ihm selbst ein Viertelfinal-Erfolg gegen Brasilien wohl nicht mehr den Job retten wird

HAMELN taz ■ Das Schönste, was Raymond Domenech im Fußball erlebt hat, ist nicht der Triumph gegen die Spanier, der seiner Mannschaft das heutige Viertelfinale gegen Brasilien ermöglicht. Das Schönste fand ihm zufolge abseits der Kameras statt, auf einer kleinen Bühne. Der 54-Jährige ist ein Theaterfan, taucht selbst in Stücken und Filmen auf, und arbeitet zuweilen in diesem Bereich mit Jugendlichen. Einmal stellten sie ein Projekt mit Kindern aus schwierigen Verhältnissen auf die Beine. Es musste ein Werk über Fußball sein, nur damit lockten sie die Jungen und Mädchen an. „Selbst die, die nicht lesen konnten, haben ihren Text gemeistert“, sagt er und erkennt darin die Essenz des Fußballs: „Er ist ein Stoßdämpfer, ein Instrument, das einem ermöglicht, ein friedliches soziales Klima herzustellen.“

Besonders friedlich ist das Klima bei dieser Weltmeisterschaft für ihn bisher nicht gewesen. Es hagelte Kritik, von allen Seiten: Die Mannschaft sei zu alt, hieß es, er habe die Macht an die Stars abgegeben, er spiele zu defensiv. Der Gescholtene hat wenig getan, um die Vorwürfe zu entkräften. Zu Beginn der Amtszeit vor zwei Jahren versuchte er noch, seine Maßnahmen zu erklären. Gerne benutzte er dabei hintersinnige, ironische Sätze wie den von „der Republik der Spieler, die es zu durchschlagen gilt“. Aber natürlich ging die Doppeldeutigkeit verloren. Irgendwann hat er es ganz aufgegeben.

Er kommt miserabel rüber bei diesem Championat, aber das ist ihm nicht so wichtig. Lavieren ist seine Sache nicht, er geht seinen Weg. Daher halten ihn viele für einen unverbesserlichen Dickschädel. Nicht nur Juste Fontaine, der legendäre Stürmer der französischen WM-Elf von 1958, forderte nach den beiden Unentschieden zum Auftakt einen offensiveren Stil. Gegen die Spanier bot Domenech wieder nur eine Spitze auf, der Erfolg gab ihm Recht. Nach schwachen Leistungen in der Testphase und zum WM-Auftakt hatten die Experten die Auswechslung Patrick Vieiras gefordert. Er hielt zu ihm, Vieira ist jetzt einer der besten des Turniers, und sein Fürsprecher kann sich eine gewisse Genugtuung nicht verkneifen: „Es tut mir leid, dass ich Recht hatte.“ Domenech sagt, er sei „schon fähig, zuzuhören und Dinge zu ändern, aber wenn ich die besseren Argumente habe, dann ziehe ich meine Linie durch“. Nur so hat er es dorthin geschafft, wo er heute ist. Er kommt aus einer Arbeiterfamilie, wohnte in einer Sozialwohnung am Stadtrand Lyons. Sein Vater war mit 16 vor dem Diktator Franco aus Katalonien geflohen. Eine einzige Familie in ihrem Block war französischer Herkunft, die anderen kamen aus aller Herren Länder. „Also haben wir unsere Weltmeisterschaft ausgetragen: die Kongolesen zusammen, die Italiener, die Ivorer … Natürlich gab es manchmal Raufereien und ich wurde schon mal als dreckiger Spanier beschimpft.“

Er hat sich durchgesetzt, kämpfte sich hoch. Großes Talent war ihm nicht gegeben, aber irgendwann hatte er einen Profivertrag, als furchterregender Verteidiger mit enormem Schnurrbart. Er war unbequem für die Gegner, und für seine Vorgesetzten: „Im Kopf bin ich immer Trainer gewesen. Deshalb wollte ich immer wissen, warum wir dies und nicht das machen. Um zu verstehen, nicht um mich aufzulehnen.“ Er wird so weiter machen, bis zum Schluss. Der könnte bald drohen, selbst dieses Viertelfinale sichert dem umstrittenen Trainer nicht die Vertragsverlängerung. Raymond Domenech sagt: „Nicht alle lieben mich und ich verstehe das. Manchmal denke ich: Hätte ich es mit mir selbst zu tun, würde ich mich hassen.“ RALF ITZEL