Die Grandezza des Rauschs

THEATER Die erste Ausgabe von „Wengenroths Autorenklub“ galt Lillian Hellman, deren Drama „Kleine Füchse“ von 1939 bald in der Schaubühne zu sehen sein wird. Der Abend ging kurzweilig und mit viel Musik und Zigarettenqualm über die Bühne

Erst mal runterkommen: Patrick Wengenroth tritt vor den Vorhang und singt das Publikum, das zu seinem ersten Autorenklub in die Schaubühne gekommen ist, sanft in den Feierabend, Matze Kloppe begleitet am Piano. Vom Abend singt er, wenn sich die Lichter der Stadt in der Pfütze spiegeln und eine Gemütlichkeit wie beim Familienfernsehabend, als die heute 50-Jährigen noch mit ihren Eltern Salzstangen knabberten, breitet sich aus. Und gleich mit dem ersten Auftritt der Schauspielerin Jule Böwe rutscht man auf der Zeitleiste noch ein wenig tiefer in die Vergangenheit, als Melodramen auf der Leinwand noch schwarzweiß waren und ein Detektiv so wenig ohne Cocktail vorstellbar war wie ein Schriftsteller ohne Whiskeyglas.

Böwe liest einen Text von Lillian Hellman, um diese amerikanische Dramatikerin dreht sich der erste Autorenklub. Hellman erzählt in diesem Text von Lampenfieber und der Angst vor dem Publikum, vom Bourbon als unzuverlässiger Krücke – und das alles in einem Kleid, das sie für den Tag kaufte, als sie vor den „Ausschuss für unamerikanische Umtriebe“ von Senator McCarthy gerufen wurde. Mit müder und vernebelter Grandezza spielt Böwe die Autorin, die den eigenen Fehlern unablässig Pointen abgewinnt – und damit ist sie einem schon ans Herz gewachsen.

Am 18. Januar hat Hellmans Drama „Kleine Füchse“, 1939 in New York uraufgeführt und gleich 400-mal gespielt, an der Schaubühne Premiere, von Thomas Ostermeister inszeniert, mit Nina Hoss in der Hauptrolle. Wengenroths Autorenklub ist zwar auch eine Einführung in das Stück, vor allem aber ein Spiel, das jedem der Mitstreiter eine Bühne bereitet, auf der die Abschweifung ebenso legitim ist wie das Zurückholen ins Thema. Die nächsten Klubabende gelten Bertolt Brecht (März) und Roberto Bolano (April).

Wissen und Nichtwissen über Hellman, die von 1905 bis 1984 lebte, werden an diesem Abend ausgestellt, die Quellen der Recherche angenehm offengelegt. Der Inspizient trägt Eckdaten aus Wikipedia vor, Wengenroth und die Schauspieler Jule Böwe, Eva Meckbach, Sebastian Schwarz und Christoph Gawenda lesen aus Dramen, Geschichten und autobiografischen Texten von Hellman, ihrem Freund, Dashiell Hammett, und von Gertrude Stein. Im Gespräch mit dem Theaterkritiker und -historiker Thomas Irmer geht es um das Interesse von Theaterstudenten heute an dem Stück und den Kampf der Autorin um Anerkennung in einer von Männern dominierten Literatenwelt. Gut drei Stunden schaut und hört man dem zu und wünscht sich nur selten, jetzt macht mal hinne.

Hellman war berüchtigt für ihren Konsum von Alkohol und Nikotin. So gelten dem Rausch und seinem Mythos des Kreativen ebenso Songs und Szenen wie dem Absturz im Suff. Ein zweiter roter Faden folgt der Verflechtung von Wahrheit und Lüge. Das ist ein Thema in den Dramen Hellmans mit oft tragischen Wendungen. Aber es gibt auch eine lustige Anekdote zu hören, wie sich der Vater und die Mutter der Autorin um das Stehlen einer Geschichte streiten. Zuletzt geht es um Hellman selbst, die gerichtlich gegen den Vorwurf einer anderen Autorin klagte, Hellmans Autobiografie „Eine unfertige Frau“ basiere auf Lügen.

Wann haben bildungsbürgerliche Ambitionen und popkulturelles Wissen aufgehört, einen Gegensatz zu bilden? An der Schaubühne zumindest scheint das datierbar mit dem Beginn der Intendanz von Thomas Ostermeier vor 14 Jahren. Seitdem singen fast alle Schauspieler fast in jedem Stück. Ein Großteil der Arbeit der Kontextualisierung findet über die Musik statt. Diese Karte ist Wengenroths Trumpf, er spielt sie aus mit einer gut erträglichen Koketterie; das Haus, die Schaubühne, feiert sich und ihre Schauspieler in dem Format des Autorenklubs auch selbst. Doch das nimmt man gern hin, weil man zugleich viel Neues erfährt über Erfolg von Dramatikern und ihr Vergessenwerden, über die Suche nach Theaterstücken, in denen eine Frau am Ende gewinnt – sie scheint es fast nicht zu geben – und nicht zuletzt über Amerika und seine Schriftsteller.

KATRIN BETTINA MÜLLER