Softpower für das Reich der Mitte

NACHRICHTEN-TV MADE IN CHINA Informationen aus chinesischen Perspektiven und ein freundlicheres Bild des Landes

„Wir kennen unsere Spielräume – in diesem Rahmen machen wir unsere Tänze“

MODERATORIN LIU XIN

AUS PEKING JUTTA LIETSCH

„CNN ist unser Lehrer“, sagt Zhao Peng, „so wie der amerikanische Sender wollen wir in Zukunft einmal werden.“ Vor ihm flimmern Monitore mit Informationen der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua. Zhao, gestandener Funktionär und Journalist, blickt kurz auf Aktienkurse und Finanzkurven, das Wetter, eine Nachrichtensprecherin, Autowerbung – und zufrieden auf sein jüngstes Baby: Vor wenigen Tagen hat Xinhua ihr erstes Fernsehprogramm eingeweiht.

Gleich zwei TV-Kanäle, in englischer und in chinesischer Sprache, strahlen seit dem 1. Juli Nachrichten und Features aus – 24 Stunden am Tag. „CNC World“ heißt der neue Sender, der künftig in Tokio wie in Kapstadt, in Rio, Berlin, Istanbul oder New York empfangen werden soll – im Internet oder über Satellit, per Kabel und Mobiltelefon.

Zhao, ein Mann in den Fünfzigern, der gern Konfuzius zitiert, will dafür sorgen, dass der große Traum wahr wird. Der Traum vom globalen chinesischen Nachrichtenanbieter, der mit CNN und der britischen BBC konkurrieren kann. „Bislang herrschen in der ganzen Welt acht große Nachrichtenkonzerne“, sagt er, „wir werden der neunte sein.“ 70 Prozent der Sendungen beim neuen CNC World sollen sich mit ausländischen Nachrichten beschäftigen, der Rest mit China.

Seine Visitenkarte weist Zhao als Senior-Editor mit vielen Aufgaben aus: Er ist Vizedirektor des Verwaltungsrats im neuen TV-Sender, außerdem Chef des „Multimediazentrums der Xinhua New Agentur“ und Leiter der Asienredaktion von CNC. „Als junger Journalist habe ich noch Meldungen handschriftlich verfasst und meine ausländischen Kollegen um ihre Computer beneidet“, sagt er und eilt weiter durch die mit sandfarbenen Fliesen ausgekleideten Gänge des Pekinger Xinhua-Hauptquartiers, „aber schauen Sie nur, wie weit wir gekommen sind!“

Mit dem Namen Xinhua – „Neues China“ – verband die Welt lange Zeit dröge und bürokratisch formulierte Nachrichten. Damit soll es vorbei sein. Doch die Propaganda bleibt, das Ziel heißt jetzt: Informationen aus chinesischen Perspektiven liefern und zugleich ein freundlicheres Bild des Landes zeichnen, als es ausländische Zeitungen und Rundfunkanstalten nach Ansicht Pekings tun. „Imagepflege“ und „Softpower“ lauten die Stichwörter für das ehrgeizige Unternehmen.

Der Sprung ins internationale Fernsehgeschäft kommt zu einer Zeit, in der chinesische Firmen stärker ins Ausland streben. Mit viel Geld und neuen Ideen wollen die KP-Führer die Staatsmedien attraktiver und konkurrenzfähiger machen. Der staatliche TV-Koloss CCTV hat andere fremdsprachige Kanäle in den vergangenen Monaten ebenfalls deutlich ausgebaut, er sendet unter anderem in arabischer, russischer und spanischer Sprache. Auch in der Parteischule der KP, in Universitäten und außenpolitischen Zirkeln hat das Wort von der „Softpower“ Hochkonjunktur. Geprägt hat es der amerikanische Politologe Joseph Nye, um die Anziehungskraft der amerikanischen Kultur im Ausland zu beschreiben. Jetzt also China: „Um geliebt zu werden, muss China alle möglichen Maßnahmen ergreifen, die Welt über sich aufzuklären“, befand jüngst die Volkszeitung.

Das hätten sich Mao Zedong und seine kommunistischen Mitstreiter nicht träumen lassen. Vor 79 Jahren gründeten sie den Xinhua-Vorläufer „Nachrichtenagentur Rotchina“, nach dem Sieg der KP 1949 wurde Xinhua zur Behörde und zum wichtigsten Nachrichtenverteiler im Land. Die Chefs haben Ministerrang und die Agenturbüros bis heute zwei Funktionen: Hohe Funktionäre bekommen ungeschminkte Berichte über Ereignisse im In- und Ausland. Zeitungen, Rundfunkanstalten, Firmen und Behörden werden zensierte Nachrichten geliefert.

Die Kontrolle ist ebenso ausgeklügelt wie das ganze System der Nachrichtenübermittlung: Die Redaktionen erhalten aus verschiedenen Abteilungen der KP, der Sicherheitskräfte und der Regierung regelmäßig Hinweise darauf, welche Themen als „heikel“ eingestuft werden – dazu können Arbeiterstreiks genauso gehören wie die wahren Kosten der Expo in Schanghai.

Mittlerweile ist Xinhua mit rund 10.000 Beschäftigten, 40 Büros im Inland und 120 Vertretungen in Übersee die größte Nachrichtenfabrik der Welt. Sie beliefert rund 50.000 Zeitungen, Rundfunkanstalten, Firmen und Behörden mit Texten, Wirtschaftsdaten, Börsenberichten, Fotos, Features und Videos. „Im nächsten Jahr eröffnen wir weitere 20 Büros im Ausland“, sagt Zhao. Die Kollegen in New York ziehen gerade um: in ein repräsentatives Quartier am Times Square, eine der teuersten Ecken der Welt.

Den Einwand, Xinhua brauche als Staatsunternehmen und Monopol keine Konkurrenz zu fürchten, das Überleben sei garantiert, weist Zhao weit von sich: Der neue Fernsehsender CNC World bekomme „nur ein Drittel des Geldes vom der Regierung, den Rest müssen wir uns auf dem freien Markt besorgen“. Deshalb will er CNC World „wie ein Wirtschaftsunternehmen und nicht wie eine Behörde“ führen. Investoren sind willkommen, Werbekunden sowieso. „Wir sind offen für jeden, der uns Geld bringt, egal ob es Euro, Franken, Dollar oder Yen sind“, sagt er fröhlich. „Das ist etwas ganz Neues für China, wir sind Pioniere – das können Sie schreiben!“ Doch wie Xinhua sich auf dem internationalen Markt behaupten will, bleibt unklar. Denn von Zensur und Kontrolle darf und will sich Zhao nicht verabschieden: „Wir müssen uns an die Vorschriften der Regierung halten, das ist klar.“

Eine Woche nach dem Start von CNC World ist das Ergebnis denn auch noch nicht sehr aufregend. Bislang ist der Sender erst im Internet (www.xhstv.com) und auf einigen Smartphones zu sehen. Nur in Hongkong läuft CNC World schon im Kabel.

Es ist der Traum vom globalen chinesischen News-Anbieter, der mit CNN und der BBC konkurrieren kann

Ein paar Kilometer weiter, im Westen Pekings, im Hauptquartier von CCTV, wappnen sie sich dennoch gegen die neue Konkurrenz. Auch Starmoderatorin Liu Xin, seit 13 Jahren beim englischsprachigen CCTV 9 dabei, spürt neuen Wind bei ihrem eigenen Sender. „Im April hieß es: Wir müssen bereit sein“, die Verantwortlichen verpassten dem Kanal auch gleich einen neuen Namen: Aus „CCTV 9“ wurde „CCTV News“, Berichte über Folklore und Sehenswürdigkeiten wurden zugunsten von Nachrichten und Talkshows gekürzt.

Der weltweit über Satellit und in einigen Kabelsystemen zu empfangende Sender orientiere sich an westlichen Vorbildern, um bei ausländischen Zuschauern glaubwürdig zu sein, sagt Liu: „Wenn wir etwas Gutes über China sagen, dann erklären wir nicht einfach: Hey, das haben wir gut hingekriegt, es ist in Ordnung, die Dinge verlaufen harmonisch. Sondern wir zeigen Fakten, Beispiele, Leute und berichten darüber, wie sich ihre Situation verbessert hat.“

Statt wie bisher nur Nachrichten vorzulesen, ist Liu nun vor der Sendung – und manchmal auch mittendrin – live mit Korrespondenten in der ganzen Welt verschaltet. „Unsere Leute sitzen im Irak, Afghanistan, Thailand“, sagt sie, „es ist wunderbar!“ CCTV News kümmert sich mehr als CNC World um Informationen aus dem eigenen Land – etwa jeweils zur Hälfte machen Inland- und Auslandnachrichten das Programm aus, schätzt Liu. „Kommt drauf an, was passiert und wie relevant es ist“.

Doch auch hier überprüfen leitende Redakteure in der Abteilung, ob die Nachrichten politisch korrekt formuliert und gewichtet sind. „Aber alles geht viel schneller als früher“, sagt die 34-jährige Moderatorin. „Prinzipiell kennen wir unsere Spielräume – und innerhalb dieses Rahmens machen wir unsere Tänze.“

Bei aller Orientierung an internationalen Vorbildern wie der BBC oder CNN: Kritik an den Politikern des eigenen Landes ist vom etablierte Programm wie vom Neuling CNC World nicht zu erwarten, gibt auch Liu zu: „Wir sind Staatssender – und da ist es klar, dass wir für die Regierung sprechen.“