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Laut, staubig, voll gepisst, geil

Am vergangenen Wochenende ging das Roskilde-Festival über die Bühne. Die Sonne brannte herunter und auch sonst war alles super in diesem großen Jahr 2006: das Line-up, die Organisation. Nur Bob Dylan sah aus, als müsste man sich Sorgen machen

VON ANDREAS BECKER

Jetzt sieht es wirklich aus wie auf der Müllhalde. Möwen kreisen über den nicht verzehrten Pitas, Chilis und Pizzen. Trucks scheuchen sie auf und kurven zur Orange Stage, deren linker Boxenturm schon jetzt nur noch Gerippe ist. Am Morgen nach dem Roskilde-Festival wird man doch tatsächlich melancholisch. Warum spielt heute keine Band? Wo sind die fast 110.000 Menschen mit hell wie Halogenlampen leuchtenden Augen hin?

Bewegt man sich ein paar Meter auf ein Gebüsch oder einen der Bretterzäune zu und atmet durch die Nase, kriegt man doch Lust auf die Welt dort draußen. Weil es diesmal keinen Tropfen Regen gab, hat sich die Pisse teilweise zu kleinen Teichen formiert. Gestern Abend rutschte ein Typ in die Brühe – selten hat man jemand so schnell seine Klamotten ausziehen sehen. In der täglichen Festivalstadtzeitung, Festival Globe, hat man einen Fehler im Guinness-Buch entdeckt: Nicht der New York Marathon habe die längste Pissrinne der Welt, es sei Roskilde mit 850 Metern. Einen Waschbeckenrekord hat das Festival leider nicht. Im Roskildefjord hatte man sich mittags im süß-salzigen Wasser liegend einen Satz zusammenphilosophiert: Du kannst deine Hände eher in Unschuld waschen als in Roskilde.

Es war ein guter Jahrgang. Daran konnte auch die superkitschige Megaperformance des Pink-Floyd-Nachlassverwalters Roger Waters nichts mehr ändern. Dafür hatte man tags zuvor rundum Zusatzboxen errichtet, die dann auch tatsächlich einen ganz dollen Quadrosound hinlegten. Hubschrauber von hinten, Schafe von vorn, und bei „Money“ klingelte die Kasse. Am schlimmsten: der Chor. Waters selbst ließ sich im Gegensatz zu Bob Dylan in Nahaufnahme auf die Videowände beamen. Bei Dylan herrscht schon seit Jahren Fotografierverbot. Wer ihn doch aus der Nähe sah, musste besorgt sein. Sein eingefallenes Gesicht lässt einen glauben, dass es nicht ganz freiwillig ist, dass er bei Konzerten keine Gitarre spielt, sondern auf einem kleinen Piano klimpert, das man kaum hört. Rhythmisch gab’s ebenfalls Probleme. Froh wäre man, wenn der alte Mann mal was sagen würde, aber zu einer banalen Begrüßung reicht es wieder nicht. Keine fünf Minuten nach Konzertende staubten zwei Bandbusse an mir vorbei, als ich hinter der Bühne im Gebüsch stand. Durch die getönten Scheiben fragte man sich, ob Bobby einem beim Pissen zusah und ob er nicht auch gern mal kurz in die echte, stinkende Welt runtergestiegen wäre.

Am ersten Tag hatte man die zweifelhafte Freude, einen ausufernden Gig des merkwürdigen Axl Rose zu erleben. Zwei Frauen liefen dazu mit einer Unterlegmatte rum, auf die sie mit Klebeband geschrieben hatten: „Bite me, Axl“. Komischer Wunsch, dachte man noch, bis man hörte, dass Mister Guns N’ Roses angeblich zwei Tage in Stockholm im Knast saß, weil er einem Hotelportier in die Wade gebissen hatte. Zum Glück hat man die Wahl zwischen sechs Bühnen. Sonntag konnte man bei geschicktem Timing Arctic Monkeys, The Strokes, Franz Ferdinand, Placebo, Kaiser Chiefs, Balkan Beat Box, Kill (fand der Fotograf die beste Band 2006, der mochte allerdings auch Guns N’ Roses), Coldcut und die Raconteurs hören.

Ein Line-up, das es dem Festival ermöglichte, mit 79.000 Karten 14.000 Tickets mehr zu verkaufen als letztes Jahr. Weil etwa 21.000 Freiwillige hier arbeiten, war es manchmal ganz schön voll. Esben Danielsen, Sprecher des Festivals und einer von nur 22 bezahlten Leuten, war sehr zufrieden. Er schätzte, dass etwa 700.000 Euro Überschuss verteilt werden können. Ein Teil davon an Act Against Slavery, ein Verein gegen Kinderarbeit. Besonders nett fand Danielsen die zwei Seen, die ins Gelände integriert wurden. An einem konnte man angeln, im anderen schwimmen – allerdings in einer Art Schampoolauge. Nackt badet keiner mehr.

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