: Amok laufen, biologisch korrekt
METAL Gentrification singen sarkastisch von grenzenloser Gier, bankrotten Staaten und Unterhaltungsterror
VON THOMAS WINKLER
Die „gentrifizierten Bioplätzchen“ sind weggegangen. Den „koffeinfreien Soja-Latte-macchiato mit Rohrohrzucker in einem Szenecafé in Berlin-Prenzlauer Berg“ wollte allerdings niemand haben. Es hat trotzdem gereicht: Gentrification haben ihre Crowdfunding-Aktion – vermutlich auch wegen der fantasievollen Prämien – erfolgreich abgeschlossen. Zusammengekommen sind statt der avisierten 444 Euro sogar 575. Das war der Zuschuss, den die Berliner Band benötigte, um „Deviance“, ihr Debütalbum, möglichst umweltfreundlich herstellen zu können.
Die CD, die nun in die Läden kommt, wurde produziert in einem nach Umweltstandards zertifizierten Presswerk, ist verpackt in eine plastikfreie Papphülle, bedruckt mit Farben auf Pflanzenölbasis, und beantwortet die Frage, wie die Gentrifizierung klingt, denkbar wuchtig: „Deviance“ klingt wie eine amoklaufende Dampframme. Mitunter wiegen einen die Gitarren akustisch klimpernd in Sicherheit, nur um dann umso gewaltiger loszubrettern, während Bass und Schlagzeug Unheil im Unterleib anrichten.
Denn Gentrification sind eine Metal-Band, die in den härteren Randbereichen des Genres zu Hause ist. Entgegen einschlägiger Vorurteile gegen das Schwermetall-Gewerbe ist ihr Death- oder Thrash-Metal aber nicht nur dumpfes Geknüppel. Gentrification haben eine Botschaft. Das beginnt schon beim Namen, der mit Bedacht gewählt wurde.
Als die Band 2008 gegründet wurde, bestand sie ausschließlich aus Neuberlinern. „Auch wir als Zugezogene haben natürlich bemerkt, dass sich Berlin nahezu wöchentlich verändert“, erinnert sich Michael Gückel, „da will man das natürlich verarbeiten.“ Der Schlagzeuger stammt aus Hof, lebt in Prenzlauer Berg, nicht weit entfernt vom Kollwitzplatz, ist vor wenigen Tagen erstmals Vater geworden und seitdem vor allem unausgeschlafen. „Ich bin also auf dem richtigen Weg“, lacht er.
Nach einigen Besetzungswechseln besteht das Quintett nun aus dem Oberfranken Gückel, dem einzigen Übriggebliebenen der Originalbesetzung, zwei Urberlinern, einem Brandenburger und einer Bremerin. „Schwaben konnten wir leider noch nicht integrieren“, sagt Gückel. Die fünf arbeiten als selbstständige Kommunikationsdesigner, studieren noch, bauen gerade ihr Abitur.
Der 32-jährige Gückel verdient sein Geld als freier Journalist und jobbt immer mal wieder in der taz-Wahrheit als redaktionelle Aushilfe. Er interpretiert schon die reine Existenz seiner Band als „ironischen, sarkastischen Kommentar zum Thema Gentrifizierung“. Besonders augenfällig wird das beim aktuellen Bandfoto, das die fünf Musiker in schnieken Anzügen und freundlich frisiert zeigt. „Wir spielen mit den Klischees, um einen Gegenpol zu der sonst so wahnsinnig ernsten Diskussion zu setzen“, sagt Gückel, will seine Band aber nicht allein auf das eine Thema reduziert sehen. „Wir sind eine kritische, politische Band, aber wir sind keine monothematische Band. Auf dem Album taucht die Gentrifizierung immer mal wieder auf, aber nur am Rande. Wir haben auch noch andere Themen.“
Vom Erlös des Crowdfundings werden zehn Prozent für syrische Flüchtlinge gespendet. Und in den englischen Texten von „Deviance“ wird eine Welt beschrieben, die lange nicht an der Grenze zum Wedding endet. Diese Welt ist öde, leer und apokalyptisch, beherrscht von grenzenloser Gier, voller Unterhaltungs- und Konsumterror. Die Staaten sind bankrott, attackiert von Hightech-Terroristen. Die Menschen werden bespitzelt von den eigenen Geheimdiensten, und wenn das Internet ausfällt, geht gar nichts mehr. Wirklich alles so schlimm, Herr Gückel? „Im Metal kann man nun mal schwer über Blumen, Bienchen und Reibekuchen singen. Und wenn man eine Botschaft vermitteln will, ist eine gewisse Dramatisierung der Missstände nötig.“
Diese Missstände werden von Sängerin Lena Winkel fauchend, grummelnd, bellend vorgetragen. Das sogenannte Growling ist für den Death Metal zwar zwingend vorgeschrieben, ist der Verständlichkeit allerdings ziemlich abträglich. „Der geneigte Metal-Fan ist schon in der Lage, die Texte zu verstehen“, glaubt Gückel, „und alle anderen finden schon aus anderen Gründen keinen Zugang zur Musik.“ Falls doch, sind die Texte im Booklet auf Recyclingpapier abgedruckt.
Ganz unvermittelt widmeten sich Gentrification dem Thema, das sie sich mit ihrem Namen vorgaben, auf ihrer 2012 erschienenen EP. Auf „Part of The Process“ fanden sich fünf Stücke, und der Titel deutete es bereits an: Gückel und seinen Mitstreitern war von Anfang an klar, dass sie selbst Teil des Problems sind. „Aber wir setzen uns damit auseinander und positionieren uns auch nicht hundertprozentig pro oder contra“, sagt der Schlagzeuger, „wir glauben, dass man den Wandel nicht aufhalten kann, aber man kann versuchen, die Veränderungen mitzugestalten.“ Bei so einer Mitgestaltung kann eine Dampframme ja durchaus von Nutzen sein.
■ Gentrification: „Deviance“ (gentrified.de)
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