Spielplätze (21)
: Der Traum ist aus

Alle gucken Fußball. Wir auch. Bis zum Ende der WM berichtet die taz täglich live von den Berliner Spielplätzen. Heute: Die Depression nach dem Ausscheiden der südamerikanischen Mannschaften in der „fetten Ecke“.

Bis zum Freitag war die Welt hier auf der Schlesischen Straße Ecke Cuvrystraße noch in Ordnung. Argentinien sollte Weltmeister werden, und die einzige wirkliche Sorge galt den Brasilianern, die man beim Finale in Berlin mit Fleiß und Mannschaftsgeist besiegen wollte. Man traf sich hier bei Pablo, dem argentinischen Barkeeper, in der Kneipe „Zur fetten Ecke“, um der eigenen, der argentinischen Nationalmannschaft beim Siegen zuzuschauen. Oder, wenn sie gerade nicht spielte, um sich über die großartigen Jungs unter Trainer José Pekerman zu unterhalten und die Magie von Mittelfeldstar Messi heraufzubeschwören.

Selbstzweifel kannte hier niemand, und wenn andere Mannschaften dran waren, war das Lokal nicht so voll und die Begeisterung nicht so groß. Jetzt aber deutet nichts mehr darauf hin, dass vor nicht mal zehn Tagen die Kneipe voll mit blauweißen Fahnen war und niemand mehr einen Platz mit Blick auf die Leinwand bekommen konnte. Nichts erinnert an die argentinischen Fans, die vor der Tür auf Autodächern tanzten, oder an die kurze Unterbrechung des Verkehrs durch die glücklichen Argentinier nach dem Sieg über Mexiko. Kaum ein argentinischer Fan traut sich offenbar noch aus seiner Wohnung in diesem Ort, wo man an die Niederlage gegen Deutschland erinnert würde.

Nicht so Daniel. „Ich habe diese Fußball-Parallelwelt verlassen“, sagt der 30-jährige Argentinier betrübt, während er noch ein Bier bestellt „Alles ist aus, alles. Wir haben verloren, es war ein Traum vom WM-Titel – und jetzt ist es aus.“ Seine Trauer scheint keine Grenzen zu kennen. Argentinier sind ja nah am Wasser gebaut. Anders als bei anderen Latinos gilt bei ihnen das Weinen nicht als Zeichen der Schwäche. Noch heute könnten sie alle heulen, Daniel, Diego, Sebastían und Andrés. „Wir waren besser als die anderen Teams“, hört man den einen seufzen, während Andrés zum x-ten Mal lakonisch wiederholt: „Die Schiedsrichter haben uns wieder betrogen.“ Er schaut auf die leeren Stühle im Lokal und scheint sich an die Gesänge der Fans zu erinnern. Nur wenn man ihn auf die Brasilianer anspricht, lächelt er ein bisschen. „Zumindest sind die auch weg“, sagt er und freut sich darüber, dass er seine brasilianischen Bekannten treffen kann, ohne hämische Bemerkungen zu befürchten.

Sebastián mag die Theorie mit den Schiedsrichtern nicht. „Wir lieben Verschwörungstheorien und fühlen uns immer um unsere Zukunft betrogen – das hat mit der Geschichte unseres Landes zu tun. Aber wir haben einfach verloren, weil Messi nicht gespielt hat“, sagt er. Außerdem findet er es schade, dass die Brasilianer verloren haben: „Die hätten uns gerächt. Ich kann sie auch nicht ausstehen“, sagt er. „Aber jetzt sind ja nur noch europäische Mannschaften dabei und das ist schade.“

„Jetzt schauen wir uns die nächsten Spiele an, so wie wir die Champions League gucken – rein aus Liebe zum Fußball“, sagt deswegen Diego leidenschaftslos und schaut sich seine Freunde an. Die vier werden als Gegengift für den bitteren Nachgeschmack dieser WM am Holztresen in der „fetten Ecke“ sitzen und die Abende in dieser einstigen Eckkneipe beschwören, als die Welt für sie noch in Ordnung war.

BLAS URIOSTE

„Zur fetten Ecke“, Schlesische Straße Ecke Cuvrystraße. Alle Spiele auf Leinwand. Eintritt frei