Ideal und Makel

FASHION WEEK Auf der Fashion Week wurden die Grenzen zwischen Technik, Körper und Geschlecht angegangen. Ein Albinomodel schockte Touristen. Starstyling und Patrick Mohr forderten das Fachpublikum heraus

Das Berliner Label Starstyling schickt einen Adonis mit Beinprothese auf den Laufsteg. In Zeiten der Machbarkeit des Körpers wird der Makel zur individuellen Auszeichnung erhoben

VON DIANA WEIS

Das Grundproblem der Mode ist ihre Vergänglichkeit. Gerade erst angekommen, eilt sie schon wieder weiter. Immer auf der Suche nach einem neuen und aufregenderen Morgen. Kritiker erfüllt diese Eigenschaft traditionell mit Skepsis. Man tut sich schwer, den bleibenden Wert eines Gegenstandes zu erfassen, der sein Erscheinungsbild fortlaufend ändert. Doch wegen ihrer kontinuierlichen Erneuerung dient die Mode auch als Seismograf ihrer Zeit. Bei der sechsten Ausgabe der Berlin Fashion Week, die von Mittwoch bis Samstag vergangener Woche stattfand, wurden demnach neben der Frühjahrs- und Sommermode für das Jahr 2011 auch kulturelle Befindlichkeiten verhandelt.

Herzstück der Modewoche ist das eigens errichtete Zelt auf dem Bebelplatz, das in der Hitze dieser Julitage in gleißendem Weiß erstrahlt, als wäre es ein eben gelandetes Ufo. Das Zelt ist ein Sinnbild der Modestadt Berlin, die noch immer ihren Platz zwischen Paris, London und New York sucht. Das Zelt als Nichtort, an dem der Champagner fließt und die Designer Geschenke verteilen, während anderswo in der Stadt der wenig glamouröse Alltag weiterläuft.

Mittwochmittag: Ein Taxi hält am Bebelplatz, ihm entsteigt eine ganz in Schwarz gekleidete, lang gestreckte Gestalt. Ein Wesen mit schneeweißer Haut, gekrönt von einem wilden Vogelnest platinblonder Locken. Es ist der 19-jährige New Yorker Shaun Ross, das Albinomodel, das als Stargast der Berliner Schauen auf Partys herumgereicht wird. Am Freitag ist Ross auf dem Defilee des Schockdesigners Patrick Mohr zu sehen. Die Augen von einer Sonnenbrille verborgen, stakst er auf langen Beinen in Richtung Zelt, wie ein Außerirdischer, der zum Mutterschiff zurückkehrt. Eine schwäbische Reisegruppe knipst fassungslos Erinnerungsbilder. Zurück in der Heimat, werden sie etwas zu erzählen haben über die große Stadt Berlin und die notorisch verrückten Personen, die sie beherbergt.

Das Zelt auf dem Bebelplatz ist in drei Sicherheitsbereiche gegliedert, die von Herren in schwarzen Anzügen strengstens bewacht werden: ein Aufenthaltsbereich für Fachpublikum und Presse, der Laufsteg für die Schauen sowie abgetrennte VIP-Lounges für die Reichen und Schönen. Die branchenfremde Öffentlichkeit, die sich in Form schlecht gekleideter Touristen Unter den Linden auf die Füße tritt, ist im Zelt eigentlich unerwünscht.

Promis und Würde

Trotzdem sahen sich die Veranstalter dazu gezwungen, ein Hintertürchen offen zu lassen, um auch Normalsterblichen den Zutritt zu gewähren. Im Niemandsland zwischen Sofa-Lounge und Laufsteg wurde ein Streifen ausgespart. Er ist durch einen Seiteneingang des Zeltes auch ohne Einladung zu betreten. Ein Loch im Zeltboden erlaubt den Blick auf das Mahnmal zum Gedenken an die NS-Bücherverbrennungen des Jahres 1933. Darüber, an einer provisorischen Stellwand, hängt ein Plakat mit dem berühmten Zitat von Heinrich Heine. Die wenigen Besucher wirken ein wenig ratlos, so als wüssten sie nicht recht, ob die Würde des Ortes es ihnen gestattet, sich den Hals nach der vorbeieilenden Fernsehprominenz zu verdrehen. Die Tatsache, dass das Zelt der Fashion Week das Mahnmal zweimal im Jahr für ein paar Tage verdeckt, führte in der Vergangenheit zu wütenden Protesten und schließlich zur Gründung der Initiative Bebelplatz, die die Verlegung des Zeltes fordert.

Wenn Mode mehr sein soll als nur ein paar hübsche Kleider, muss sie Stellung beziehen, nicht nur gegenüber dem Ort, an dem sie stattfindet. Aktuell geht es den Designern um die Auflösung der Grenzen zwischen Technik und Natur, Körper und Geschlecht. Einige Kollektionen spielen offen mit der Verfremdung des Körpers, den sie mit gepolsterten Ausbuchtungen versehen: Ein Stilzitat des legendären Bump Dress von Rei Kawakubo aus dem Jahr 1997.

Spannender wird es dort, wo auf dem Laufsteg der Reigen der gazellengleichen Körper durch wohlkalkulierte Schockeffekte gebrochen wird: Patrick Mohr verfremdete seine Models erst mit Latexglatzen inklusive Gesichtsbehaarung. Dann schickte er ihnen zum Bad-Taste-Finale eine ausgemergelte Erscheinung mit riesigen Silikonbrüsten hinterher. Am Samstag setzte das Berliner Label Starstyling noch eins drauf mit einem Adonis, der eine Beinprothese trägt. In Zeiten der Machbarkeit des Körpers wird der Makel zur individuellen Auszeichnung erhoben.

Die Mode, diese nervöse Angewohnheit, macht an den Grenzen des Körpers nicht halt. Auf der rastlosen Suche nach ästhetischen Reizen ist es neben der Kleidung auch das Körperideal, das sich von Saison zu Saison verändert. Sei anders, lautet die Botschaft, aber sei sexy.