Die große Aufregung in Studiosaal 4

Die Mieter des einstigen DDR-Rundfunkgeländes fürchten um ihre Zukunft. Erst 2005 war das Areal in Köpenick an einen Baumaschinenverleih verkauft worden. Nun soll ein Großteil versteigert werden. Der Auktionator bemüht sich um Vertrauen

„Das ist ein Paradebeispiel von grobem Versagen und Unfähigkeit“

VON ERIK HEIER

Mark Karhausen sitzt vor einer ziemlich altertümlichen Stehlampe. Retro, würde man heute sagen. Das Licht der Lampe ist aus. Es ist Montagabend. Im Studiosaal 4 auf dem ehemaligen DDR-Rundfunkgelände in Köpenick findet sich kaum ein freier Stuhl. Die Luft hängt dick wie Schwelrauch vor der dunklen Holzvertäfelung. Der Berliner Auktionator Karhausen ist gekommen, um rund 140 Mieter zu beruhigen. Musikproduzenten, das Deutsche Filmorchester Babelsberg, Handwerker. Sie alle fürchten, dass ihr Arbeitsplatz verscherbelt wird.

„Wir müssen nach vorn schauen“, bittet Karhausen. „Können Sie nicht noch 14 Tage warten?“, fragt Karhausen. „Dann ist es vorbei“, verspricht Karhausen. Am 15. Juli wird der Mann mit dem grauen Bart den Hammer heben. Er wird das denkmalgeschützte, 43.000 Quadratmeter umfassenden Drittel des insgesamt rund 13 Hektar großen Areals an der Nalepastraße versteigern. Mindestgebot: 300.000 Euro. Dafür gibt es unter anderem das sechsgeschossigen Klinkergebäude und den Block B mit dem großen Sendesaal sowie fünf kleineren Studios.

Die Auktion ist der vorerst letzte Teil eines Wirtschaftskrimis, bei dem personelle Verflechtungen, wechselnde Unternehmenskonstellationen, die neuen Bundesländer und nicht zuletzt die Liegenschaftsgesellschaft Sachsen-Anhalt (Limsa) teils diffuse, teils dubiose Rollen spielen.

Von 1956 bis 1991 hatte der DDR-Rundfunk hier seinen Sitz. Nach seiner Auflösung wurde das riesige Arreal den fünf neuen Bundesländern übertragen. Acht Prozent gehörten seither dem Land Berlin. Verwaltet wurde das Gelände seit 2004 von der Limsa. Im vergangenen November hatte sie es völlig überraschend für 350.000 Euro an die Firma Bau und Praktik GmbH aus Jessen (Sachsen-Anhalt) verkauft – einen Baumaschinenverleih.

Seitdem geht es an der Nalepastraße drunter und drüber. Da wurden Versorgungsverträge gekündigt, Mieter eingeschüchtert, Sondermüll abgeladen. Einmal brannte eine Toilette. Zuletzt meinte die Bau und Praktik, auch Zubehör in den Studios mitversteigern zu können. Zu Unrecht, wie Karhausen bei der Mieterversammlung klarstellte.

Auch die Mieterliste will sich der Auktionator nun noch mal angucken. Aus der Aufzählung, die die Besitzer dem Auktionator für sein Verkaufsexposé geschickt haben, lässt sich eine Gesamtnettokaltmiete von 395.000 Euro errechnen – pro Monat. Das soll potenziellen Käufern lukrativ erscheinen. Doch am Montag donnert ein Mieter im Saal 4: „Diese Liste ist gefälscht!“ Sie verzeichnet die mit Abstand höchsten Nettokaltmieten bei Firmen, die kaum jemand bislang auf dem Gelände gesehen hat: eine Schweißtechnikfirma mit 2.200 Euro, ein Bauträgerunternehmen mit 2.550 Euro, ein Kart-Bahn-Betreiber mit 5.100 Euro. „Herr Karhausen, haben Sie hier jemals eine Kartbahn gesehen?“, fragt ein Bauunternehmer.

Für Volker Schneider, einen 40-jährigen Musikproduzenten, ist es „eine völlige Farce, was hier abläuft“. Schneider betreibt seit 1998 das Studio im Saal 4. Leute wie er haben den Laden in den vergangenen Jahren am Leben erhalten. Der Klang des Studios sei einmalig. Nena war schon hier, Herbert Grönemeyer auch, oder die Einstürzenden Neubauten. „Und das verscherbeln die jetzt einfach“, sagt Schneider. An der Studiowand hängt noch die vergilbte „Saalordnung für die Aufnahmestudios im Funkhaus Berlin“. Unter Punkt 11 heißt es da: „Das Entfernen von inventarisierten Einrichtungen aus den Sälen ist nicht gestattet.“ Aber auf Verordnungen aus der DDR-Zeit kann sich schon lange niemand mehr berufen. „Das ist ein Paradebeispiel von grobem Versagen und Unfähigkeit der politisch Verantwortlichen“, schimpft Schneider.

Auf dem Rasen vor den Studios kauern junge Frauen und Männer, die Englisch sprechen. Mit großen Augen blicken sie auf Mauern, die sich wie Dornröschens Schloss hinter dichten Bäumen emporschwingen. Staubige Sandwege martern die Schuhe. Vor einer Werkstatt sitzen zwei Männer und rauchen der Abendsonne entgegen. Still ruht nebenan die Spree.

Seit 1991 gab es bereits viele Versuche, das Areal wieder zu beleben. Aber der Sanierungsaufwand ist so hoch, wie die spärlich beleuchteten Gänge in den Häusern lang sind. Karhausen schätzt, ein neuer Käufer müsse erst mal einen zweistelligen Millionenbetrag in das marode Gelände stecken.

Für die öffentliche Hand war das nicht finanzierbar. Um wenigstens die auflaufenden Betriebskosten loszuwerden, wollten die neuen Länder das Fass ohne Boden bis Ende 2005 schleunigst verkaufen. Danach sieht dann auch der 54-seitige Kaufvertrag vom 3. November 2005 aus. Auf Seite drei ist darin die Absicht vermerkt, das Rundfunkgelände als Medienstandort zu erhalten. Absicht ist keine Pflicht. Eine Wiederverkaufsfrist, die Spekulationsgeschäfte verhindern würde, fehlt gleich völlig. Prompt teilte die Bau und Praktik das Gelände in drei Gebiete auf und verkaufte fröhlich los. Ein lukratives „Filetgrundstück“ ging an eine Firma namens „Spree Development“. Der denkmalgeschützte Teil des Geländes wurde an eine Nalepa Projekt GmbH weitergereicht. Deren Geschäftsführer ist auch Chef der Berliner Firma „Go East Invest SE“. Die wollte eine „Mem-City – Music Entertainment Media City“ an die Nalepastraße klotzen. 500 Millionen Euro Investitionssumme, 1.000 Arbeitsplätze, 4 Millionen Besucher pro Jahr. Das Projekt kam dem Bezirk aber gelinde gesagt ambitioniert vor. Er lehnte es ab. Deshalb, heißt es bei Go East Invest, würde man nun eben versteigern. Derzeit klagt die Limsa 340.000 Euro an Betriebskosten hinterher, die sie zwischen Dezember und März dem neuen Eigentümer vorstrecken musste. Potente Investoren sehen anders aus.

„Ich habe schon über 200 Exposés an Interessenten verschickt“, verkündet Karhausen. Darunter sei ein noch anonymer, offenbar erfahrener Investor aus New York, frohlockt Karhausen. „Wenn der das bekommt, mache ich einen Luftsprung“, verspricht Karhausen.

Er beugt sich vor, er greift in den Saal hinein, er sucht Blickkontakte. Er sucht Vertrauen. Es ist schwer. Er weiß das genau.