Klinsmanns Wille geschehe

Trotz des Ausscheidens gegen Italien: Das sportliche Konzept des Bundestrainers ist aufgegangen. Das mannschaftstaktische Auftreten des Teams übertraf die Erwartungen

Wie geht’s jetzt weiter mit dem deutschen Fußball? Und mit Klinsmann? Das selbst gesteckte Ziel ist verfehlt, das Finale wurde nicht erreicht. Gerne wird Fußball in Deutschland im Horizont von kurzfristigen Ergebnissen gedacht. Entsprechen die nicht den Erwartungen, werden die Verantwortlichen ausgetauscht, sprich: die Trainer. Was in der Regel auch bedeutet: das Konzept. Sofern der Trainer ein anderes hatte, als mit möglichst guten Ergebnissen möglichst lange über die Runden zu kommen.

Jürgen Klinsmann hatte in seiner WM-Vorbereitung ein Konzept. Und er hat den Versuch, es durchzusetzen, über die erzielten Ergebnisse gestellt. Kein Geheimnis in der Branche ist es, dass die üblichen Muster dann auch bei ihm zu greifen drohten und er nach dem 1:4 gegen Italien im März in Florenz kurz vor der Ablösung stand.

Jetzt ist die Lage aber völlig anders. Obwohl bei der WM wieder gegen Italien verloren wurde, wird Klinsmann als Bundestrainer vorerst nicht mehr infrage gestellt – allenfalls von Jürgen Klinsmann selbst.

Heißt das aber auch, dass sein Konzept gegriffen hat? Klinsmann wollte mit einer Gruppe von – durch eine individuelle Betreuung – physisch topfitten Spielern mit ausgeprägtem Teamgeist einen aggressiven und schnell in die Tiefe vorstoßenden Offensivfußball praktizieren.

In der Vorrunde und im Achtelfinale hat das dann auch überraschend gut funktioniert. Im Viertelfinale nicht mehr, weil der Gegner mannschaftstaktisch zu stark und individuell zu gut besetzt war. Selbst eine nicht auf höchstem Rhythmus arbeitende argentinische Ballzirkulation forderte in der Defensive alle deutschen Kräfte, die folglich in der Offensive fehlten. Dass sich das Klinsmann-Team dennoch in die Verlängerung und dann ins Elfmeterschießen rettete, war der Lohn für den Kampf und für die auch taktisch anspruchsvolle Defensivarbeit. Mehr geht gegen Gegner auf diesem Niveau derzeit nicht. Aber eben auch nicht weniger.

Das zeigte sich erneut gegen Italien. Lange wurden wenig Chancen zugelassen, obwohl sich früh andeutete, dass die Kräfteverhältnisse denen der Argentinien-Partie ähnlich waren. Das hat auch Italiens Trainer Lippi gesehen, der am Ende quasi den Fehler des argentinischen Trainers Pekerman korrigierte, indem er die schwindenden deutschen Kräfte mit der finalen Stärkung seiner Offensive (Iaquinta, del Piero) beantwortete.

Im Nachhinein jetzt den ausgebliebenen, von Klinsmann propagierten schnellen Offensivfußball der Deutschen anzumahnen wäre Blödsinn. Offensiver Aktionismus hätte das deutsche Team gegen Italien vermutlich nur früher seiner Chancen beraubt. Die DFB-Auswahl ist letztlich nicht nur überraschend weit gekommen, auch das mannschaftstaktische Auftreten übertraf die Erwartungen deutlich. Um das zu erreichen, was Klinsmann will, und auch hochkarätige Gegner mit Offensivfußball unter Druck zu setzen, braucht es Geduld – und Spieler mit den notwendigen individuellen Voraussetzungen.

Die fußballerischen Mängel von Arne Friedrich in der Vorwärtsbewegung blieben bei dieser WM genauso ein sichtbares Manko wie die fehlende Erfahrung im Klinsmann-Team. Gerade die nach den ersten Spielen mit dem schweren Ballast der Vorschusslorbeeren voll gepackten Jungen (Lahm, Schweinsteiger) litten ganz offensichtlich unter dem zunehmendem Druck auch der Erwartungen.

Klinsmanns Trainerstab wird in der Analyse des Turniers unzählige weitere Details hinzufügen, die an der grundsätzlichen Erkenntnis vermutlich wenig ändern: Das deutsche Team war in der Lage, Spiele gegen große Teams offen zu halten. Allerdings hat es die Vorgabe, auch in diesen Spielen zu agieren statt zu reagieren, im Prinzip nicht umsetzen können. Selbst wenn er (trotz seiner Halbfinalteilnahme) nicht zum engsten Kreis der Besten zählt, ist der deutsche Fußball also auch nicht so weit von der Weltspitze entfernt, wie oft geunkt wird. Zumal nach Jahren der Schluderei auch im Nachwuchsbereich wieder gute Arbeit geleistet wird.

Mit Luft nach oben. In der Schweiz trainieren die größten Talente sieben- oder achtmal in der Woche. In Deutschland selten mehr als fünfmal. Mit Bequemlichkeit oder „Wohlstandsjünglingen“ (B. Vogts) hat das nichts zu tun hat, sondern allein mit der Schwierigkeit, Schule und Leistungsfußball zu koordinieren. Was nur ein Beispiel dafür ist, wie weit unten man ansetzen muss, wenn man mit Konzeptfußball wirklich dauerhaft nach oben kommen will. Klinsmann Wille zur Innovation könnte auch hier weiterhelfen.