die taz vor 12 jahren über ein verlorenes paradies für sporthasser: new york
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Einer der größten Vorzüge einer Kindheit in New York ist die Wertschätzung des Weichlichen. Vor allem ist die Stadt ein Paradies für Sporthasser und vielleicht die einzige Stadt Amerikas, wo ein Kind schlecht mit dem Ball sein darf – so wie ich es war, und wofür ich überall sonst im Lande zu leiden gehabt hätte. Nicht, daß ich unfähig gewesen wäre, irgendein Kind zu schnappen, das beim Baseball das zweite Mal abstauben wollte – bloß daß ich mich nie erinnern konnte, welches der Kissen auf dem Boden das zweite Mal war, und mich immer wunderte, warum Leute aus anderen Städten sich so sehr aufregten, wenn ich dazu Kissen sagte. Wenn in meiner Nachbarschaft eine Mannschaft gewählt wurde, nahm man mich immer als letzte, knapp vor Donna, die als allerletzte gewählt wurde, weil sie so fett war.

Bis heute kann ich noch nicht auseinanderhalten, welche Mannschaft welchen Sport treibt, und das hat auch nie etwas ausgemacht, weil ich ja in New York aufwuchs. Es gab so viele andere Kinder, die beim Sport schlecht waren, daß wir keine verfolgte Minderheit waren. Ja, meine Schule besaß nicht einmal Sportplätze und soweit ich weiß auch keine Mannschaft, weswegen ich in New York eine glückliche Kindheit hatte.

Aber heute ist die Toleranz, die ich als Kind kennenlernte, verschwunden, und ich bin eine Fremde in meiner eigenen Stadt. New York ist überschwemmt mit Erwachsenen, die davon leben, Bälle durch Reifen zu werfen. Innerhalb von zehn Tagen erlebten die New Yorker die Play-off-Runde im Eishockey – zum ersten Mal in 54 Jahren von einem New Yorker Team gewonnen, dazu die Basketball-Play-off-Runde – mit einem New Yorker Team im Endspiel, die Weltmeisterschaft im Fußball und die Schwulenspiele, die internationale Schwulenolympiade mit 11.000 Athleten, die eine Woche dauerte und zu der eine Million Zuschauer erwartet wurden. Schrecklich. Wo hat New York auf einmal nur so viele Sportplätze her?

Marcia Pally, taz, 6. 7. 1994