„Mit McKinsey ist die Kirche nicht zu retten“

Die Evangelische Kirche steht vor dramatischen Veränderungen. Weniger Geld, weniger Gläubige, weniger Landeskirchen. Doch mit einer Ökonomisierung ist die Kirche nicht zu kurieren, meint der Theologe Uwe-Karsten Plisch

taz: Herr Plisch, heute wird ein Diskussionspapier zur Reform der Evangelischen Kirche EKD veröffentlicht (Bericht Seite 6, Anm. d. Red.) . Kritiker fürchten, dass Unternehmensberater wie McKinsey die Kirche übernehmen. Stimmt das?

Uwe-Karsten Plisch: Übernehmen nicht, aber McKinsey und Co. haben deutliche Spuren hinterlassen – das ist manchmal komisch, häufig befremdlich.

Wo zum Beispiel?

Wenn da etwa von der Steigerung der „Tauf- und Trauquote“ die Rede ist. Eine solche ökonomische Redeweise ist unangemessen in der Kirche.

Wird sie ökonomisiert?

Nein, aber es sind die etwas hilflosen Versuche, mit ökonomischen Rezepten die Probleme der Kirche zu meistern, obwohl sie nur bedingt auf sie übertragbar sind. Ökonomisches Denken ist nicht falsch, wo die Kirche auf diesem Feld tätig ist. Aber da kommt es eher auf eine klare Kompetenz der Leute an, die ökonomisch wirken müssen.

Empfindet die Kirche nach, was die Politik mit ihren Reformbestrebungen vormacht?

Ich hatte beim Lesen den Eindruck, hier weht wie in der Politik ein neoliberaler Zeitgeist, der ganz unprotestantisch ist. Ärgerlich an dem Papier ist die freihändige Handhabung von Bibelzitaten, die in den Text eingeflochten werden, obwohl sie an dieser Stelle keinen Sinn haben. Das ist nicht mehr als religiöser Firnis.

Ist die Forderung nach einer Schärfung des evangelischen Profils auch eine Reaktion auf die öffentliche Aufmerksamkeit, die die kantigere katholische Kirche unter Papst Benedikt XVI. erhält?

Ja und nein. Das Problem ist schon älter als die Aufregung um Benedikt – und schon früher erkannt worden. Und sicherlich lässt sich die katholische Kirche medial besser darstellen und personalisieren. Aber soll man sich dem anpassen?

Reagiert das Papier auf die profilstärkeren Freikirchen einerseits und Entkirchlichung oder Desinteresse andererseits?

Die Bedeutung der Freikirchen wird überschätzt, auch von der EKD. Auch die erreichen nur allerkleinste Kreise – und eben kaum die ostdeutschen Gewohnheitsatheisten.

Ist die Finanznot das eigentliche Motiv des Impulspapiers?

Ja, das ist der Hauptgrund. Da ist die Analyse auch am klarsten und schonungslosesten. Man spürt da förmlich die milde Verzweiflung der Verantwortlichen. Das Problem ist, dass immer wenige Leute Kirchensteuer zahlen. Es gibt immer mehr Rentner und Arbeitslose. Da fällt auch das neoliberale Totschlagargument des demografischen Faktors. Andere Strategien dagegen werden nur eingeschränkt diskutiert, vielleicht weil sie zu heikel sind, etwa ob nicht ein Abschied von der Kirchensteuer sinnvoll wäre.

Im Jahr 2030 soll es dem Papier nach nur noch 8 bis 12 Landeskirchen geben. Ist das sinnvoll – und zu schaffen, wenn man an bisherige, sehr mühsamen Fusionsprozesse denkt?

Fusionen sind ein grundsätzlich richtiger Ansatz. Zwergkirchen sind auf die Dauer nicht lebensfähig – und wer jetzt schläft, hat bald schlechte Karten, denn so gute Bedingungen wie heute bekommen kleine Kirchen bei einer Fusion nicht mehr. Bei kleineren Kirchen kann ein einzelner Funktionsträger unvergleichlich mehr Schaden anrichten als bei großen. Problematischer finde ich die Tendenz in dem Papier, die EKD-Zentrale deutlich zu stärken. Diese Zentralisierung ist bedenklich. Aber Bürokratien haben ja immer die Neigung, sich bei abnehmender Bedeutung auszudehnen.

Bedeutet nicht die Schärfung des evangelischen Profils, dass Kirchenferne eher abgeschreckt werden könnten, weil die Kirche dann wieder mehr in ihrer eigenen Sprache spricht?

Das eigene Profil zu stärken ist richtig. Denn die große Umarmung „Wir haben für alle was“ ist nicht attraktiv. Aber hier ist das Papier auch inkonsistent: Einerseits nennt man das Kirchengemeinde-Modell als Kernkompetenz der Kirche, andererseits wird dieses Modell berechtigterweise relativiert. Wenn jetzt nur noch die Hälfte der Kräfte auf die Gemeindekirchen konzentriert werden soll, ist dies der endgültige Abschied von der Volkskirche. Das ist immerhin konsequent, denn nur noch 30 Prozent der deutschen Bevölkerung sind überhaupt evangelisch, und nur noch 4 Prozent gehen in den Gottesdienst.

Fühlen Sie sich übergangen, weil diese Ideen von oben kommen – nicht von der evangelischen Basis, wie es protestantischer Tradition entspricht?

Nein, das ist in Ordnung, dass solche Diskussionspapiere von oben Anregung geben. Problematischer ist, dass Diskussionspunkte vorgegeben werden – und manches nicht mehr diskutiert werden soll, weil es gar nicht vorkommt, etwa die Zukunft der Evangelischen StudentInnengemeinden. Das ist politisch gewollt. Es wundert mich nicht. Aber es ärgert mich.

INTERVIEW: PHILIPP GESSLER