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: Wunden lecken bei Eis und Pizza

Alle gucken Fußball. Wir auch. Bis zum Ende der WM berichtet die taz täglich live von den Berliner Spielplätzen. Heute: Portugal–Frankreich auf der Falckensteinstraße in Kreuzberg.

Aschermittwoch. Die Menschen lecken ihre Wunden, bekommen den jähen Adrenalinabfall zu spüren. Auch in der Falckensteinstraße, dem Zentrum des multikulturalen Guckens, herrscht eher träge Sommerstimmung als wirkliche Fußball-Euphorie. Allerdings wird alles akkurat hergerichtet fürs drittletzte Spiel, dem Halbfinale der Seniorenteams um Figo und Zizou. Ein älterer, freundlicher Herr spritzt den Gehsteig ab, zwei junge Männer tragen einen HD-Bildschirm über die Straße und stellen ihn vor einer sich allmählich füllenden Reihe von Bierbänken auf.

Insgesamt sind nicht weniger als sieben Bildschirme zu zählen auf den knapp 100 Metern zwischen Schlesischer und Wrangelstraße, darunter einer vor dem Bestattungshaus Kußerow. Vor dem Café Jasmin sehen die Leute etwas fertiger aus als anderswo. Auf dem Platz rechts, wo die Bierbänke stehen, gibt es eine Leinwand, auf der nichts zu erkennen ist. Laut Schild dient der Platz der „generationsübergreifenden Freiflächengestaltung“. Schaut man sich um, eine halbe Stunde vor Anpfiff, scheint das Konzept aufzugehen. Kleinkinder mit komischen Kurzhaarfrisuren, Jung und Alt mit oder ohne Migrationshintergründe, Männer und Frauen, alle finden sich ein und machen im Handumdrehen die Straße zu. Nach neun schafft es kein Auto mehr durch.

Die Falckensteinstraße ist auch als kulinarisches Zentrum bekannt. Hier gibt es die stadtbeste Eisdiele und eine sehr gute Stehpizzeria. Als die Hymnen laufen, liegt Oreganoduft in der Luft, nur auf der Leinwand ist immer noch nichts zu erkennen. Man wartet auf die Dämmerung.

Allmählich sind Schemen zu erkennen. Irgendein Schuss geht knapp am französischen Tor vorbei, ein kleines „Huaa“ ertönt. Es ist, als ob die da in München im Novembernebel spielten. Die Sonne versinkt langsam in einen Hinterhof, die Konturen werden deutlicher, es ist nicht klar auszumachen, wie die Fanlage hier ist, vielleicht herrscht nach der großen Niederlage tatsächlich Indifferenz. Dann fällt Thierry Henry, ein, zwei Menschen rufen „Jaa!“, zehn weitere klatschen, es gibt Elfmeter. Zizou schießt ein, es gibt Applaus, Gesänge oder Sprechchöre finden während der ganzen 90 Minuten nicht statt.

Das vorherrschende Bild ist das einer Frau, die mit ihrem Fahrrad auf der vollen Straße steht und interessiert das Treiben auf der Leinwand verfolgt, während sie sich gleichzeitig ein Pizzaviertel reinschiebt. Drüben im Lido ist vermutlich mehr los, immerhin ist Bela B. mit neuer Freundin anwesend (nein, nicht Charlotte Roche, die andere), und Wowi wohl auch. Vielleicht liegt es auch am Spiel, das sich allmählich der hiesigen Stimmung anpasst. Kontrollierte Franzosen, unfähige Portugiesen. Als es in der Nachspielzeit noch kurz dramatisch wird, lebt auch die Menge noch einmal auf, vereinzelt sind spitze Schreie zu hören, letzte Anfeuerung, dann ist Schluss.

Man steht auf und verteilt sich. Immerhin ist dieser Aschermittwoch der heißeste seit Beginn der meteorologischen Erfassung, also sucht man sich eine Bar, vor der man sich ein paar letzte Biere gönnt. Mit dem Gefühl allerdings, dass der große Spaß vorbei ist. Was jetzt kommt, ist Nachklapp. RENÉ HAMANN

Falckensteinstraße in Kreuzberg 36. Zahlreiche Public-Viewing-Orte unterschiedlichsten Anspruchs.