„Und dieser Deutschland-Ruf! Den mochte ich nie!“

Campino, 44, Sänger der Toten Hosen und eiserner England-Anhänger, findet die patriotische Euphorie im WM-Land unerträglich. Warum sein Heimvorteil Düsseldorf heißt – auch wenn er die Turnier-Leistung des deutschen Teams respektiert

INTERVIEW DAVID DENK

taz: Campino, wer wird Weltmeister?

Campino: Es ist erschütternd, dass die Engländer ausgeschieden sind, denn ich gönne die Weltmeisterschaft niemandem anders.

Warum war der deutsche Heimvorteil im Halbfinale aufgebraucht?

Er war nie aufgebraucht. Ohne Heimvorteil wäre das Team nie so weit gekommen. Auch wenn es wehtut, um ganz vorne dabei zu sein, war die Mannschaft nicht gut genug.

Sie haben mehrfach betont, dass Sie Deutschland den Titel nicht gönnen. Warum?

Meine englische Mutter und mein deutscher Vater haben sich oft in ihrem Leben gestritten. In diesen Streitigkeiten war ich meist auf der Seite meiner Mutter. Dabei ging es zwar um ganz andere Sachen als um Fußball, doch seitdem verbietet es sich für mich, Deutschlandfan zu sein. Ich respektiere die Mannschaft dafür, dass sie ein sauberes Turnier gespielt und die Leute gut unterhalten hat.

Spielt dabei vielleicht auch ein alter antideutscher Reflex eine Rolle?

Ich glaube nicht. Für England zu sein ist mittlerweile ja politisch auch unkorrekt. Was stimmt, ist, dass ich zu Deutschland ein sehr ambivalentes Verhältnis habe. Wenn ich mit den Toten Hosen ins Ausland fahre, repräsentiere ich ja Deutschland – ob ich will oder nicht. Wenn wir in Argentinien spielen, dann fragen dich die Journalisten auf Pressekonferenzen, was gerade in Deutschland los ist, was zum Beispiel mit den Nazis ist. Im Ausland sind wir immer die „deutsche Band“. Komischerweise habe ich diese Rolle sofort angenommen und nicht versucht zu erklären, dass ich halber Engländer bin und deswegen nicht so viel damit zu tun habe – allein um zu beweisen, dass es auch andere Deutsche gibt als diese Klischeevorstellungen.

Im Playboy haben Sie mit Blick auf die WM mal gesagt: „Deutschland und die Fußball-WM – das passt nicht zusammen.“ Warum nicht?

Für mich ist es natürlich ein größeres Abenteuer, von Rom nach Neapel zu fahren als von Dortmund nach Gelsenkirchen. Für Italiener mag das umgekehrt sein. Im Zeitalter des Foto-Mobiltelefons ist es für mich nicht gerade eine Freude, im deutschen Fanblock zu sitzen. Wogegen ich viel mehr in Ruhe gelassen werde, wenn ich unter Italienern oder Engländern sitze. Da kann ich das Phänomen Masse ganz anders genießen. Und dieser „Deutschland!“-Ruf. Ein Leben lang mochte ich den nicht und finde ihn immer noch unangenehm – egal wie nett das mit den Fähnchen ist.

Wie stehen Sie zur ausgerufenen „Deutschland-Party“?

Jeder, wie er meint. Ich finde nur diese Ergriffenheit darüber, dass alles ganz gut läuft, total daneben. Es gibt ja überhaupt keinen Fernsehbericht mehr, der nicht die Euphorie im eigenen Land beschwört. Das ist so, als ob sich einer ständig selber auf die Schulter klopft – unerträglich!

Was sagen Sie zu Frauen im Stadion?

Gut. Frauen und Kinder – rein da! Das ist das natürlichste Mittel, um die WM zu einem gewaltfreien Fest zu machen.

Mal angenommen, Ihr Sohn wollte sich eine Deutschlandflagge aufhängen? Was würde Papa Campino dazu sagen?

Nichts, aber ich würde schon nachdenken, was ich falsch gemacht habe. Nicht weil ich politisch korrekt sein will, sondern weil mein Herz eben für England schlägt. Ich ahne, dass es so kommen könnte und er Deutschland supported.

Was wollen Sie dagegen tun?

Ich werde ihn mit nach England nehmen, ihm die Orte zeigen, an denen ich als Kind gewesen bin, und ich werde darauf achten, dass er sein erstes Live-Fußballspiel in England sieht und nirgendwo anders. Wenn alle Kinder im Kindergarten Hertha-Fans sind, dann muss man dem Kind irgendwas geben, woran es sich festhalten kann – einen Stadionbesuch in Liverpool zum Beispiel.

Warum nicht bei Fortuna Düsseldorf?

Weil ich nicht das Recht dazu habe, einem Jungen schon in seiner Kindheit eine Last auf die Schultern zu legen, die für keinen normalen Menschen tragbar ist: das ewige Loser-L auf dem Rücken. Ich nehme ihn natürlich auch mit zur Fortuna, aber ich werde nicht versuchen, ihn in diese Richtung zu drücken.

Ist es leichter, für Düsseldorf zu sein als für Deutschland?

Auf jeden Fall. Je mehr Leute, je mehr Masse, desto mehr Idioten, desto mehr blöder Beigeschmack.

Was ist an Düsseldorf so toll?

Eigentlich der Punkt, dass nichts richtig toll ist. Wir haben einen großen Flughafen, sind mit dem Auto in zwei Stunden in Amsterdam. Vier Stunden nach Paris ist eine definitiv zumut- bare Reisezeit. Brüssel ist nicht weit …

Man ist also schnell wieder weg.

Es ist einfach ein zentraler Dreh- und Angelpunkt. Weil alle spüren, dass wir nicht der Nabel der Welt sind, bilden sich die Leute auch nichts drauf ein. Ich halte Düsseldorf nicht für supergroßartig, aber für unterschätzt. Düsseldorf ist nicht schlechter als Darmstadt.

Was ist für Sie typisch Düsseldorf?

Zunächst mal ist Düsseldorf für mich – jetzt kommt dieses abgelutschte Wort – Heimat. Wo meine Freunde sind, da bin ich zu Hause. Außerdem sind hier die Leute kontaktfreudiger – auf der Straße, beim Zeitungsstand, in der Kneipe. Das gefällt mir sehr, sehr gut. Es ist ein Hang zum Festefeiern da, nicht nur im Karneval. Die Leute haben dafür Verständnis, dass man mal aus seiner Haut möchte.

Ist an Köln auch was toll?

Ich glaube, dass Köln und Düsseldorf sich ähnlicher sind, als beiden Städten lieb ist. Es gibt natürlich feine Unterschiede, die man nicht wegbügeln kann: Dass das Wort „Klüngel“ in Köln geprägt wurde, ist kein Zufall. Dass Köln ein furchtbares Einbahnstraßensystem hat, nervt. Besonders schlimm ist aber, dass sie uns im Bereich Musik überholt haben, den wir eigentlich fest im Griff hatten. In den Siebzigerjahren war Düsseldorf da absolut führend. Aus Düsseldorf kamen Kraftwerk und die Fehlfarben, da haben in Köln noch die Höhner und der ganze Quatsch den Ton angegeben.

Über Ihren Schatten springen und was wirklich Positives sagen können Sie zu dem Thema scheinbar nicht.

Doch. Die haben einen sehr guten Arzt da, der mir mein Kreuzband gemacht hat, einer der besten Typen, den ich je getroffen habe. Wegen ihm kann ich nicht mehr wirklich gegen den 1. FC Köln sein, weil ich weiß, dass ihm das wehtut.

Wie wichtig ist Lokalpatriotismus für Sie?

Solange es ein Spiel ist, finde ich Lokalpatriotismus sympathisch. Man unterhält sich selbst und andere damit. Ich denke, dass alle Leute, die ein bisschen in der Welt rumgekommen ist, nur dieses spielerische Verhältnis zu Lokalpatriotismus entwickeln können, weil sie wissen, wie viele Millionen gute Plätze es auf der Welt gibt.

Und für die Vermarktung der Toten Hosen?

Komische Frage. Zuerst war der Lokalpatriotismus da und irgendwann fingen wir dann an, Platten zu verkaufen. Wir haben keinen Grund gesehen, den Lokalpatriotismus deshalb zu unterlassen, aber es gibt klare Beweise gegen die Argumentation, dass wir das bewusst vermarkten. Wir haben nie ein Lied für Fortuna Düsseldorf oder für die Stadt selbst gemacht, uns in „Modestadt Düsseldorf“ sogar drüber lustig gemacht. Und das Altbier-Lied haben wir gesungen, weil das ein Evergreen der DEG, des Düsseldorfer Eishockeyteams, ist.

Die Toten Hosen nennen eine in Düsseldorf aufgenommene Konzert-DVD „Heimspiel“, geben dort regelmäßig Weihnachtskonzerte, sponsern Fortuna Düsseldorf und sind auch schon mal auf dem Rosenmontagszug mitgefahren …

Ich glaube nicht, dass die Söhne Mannheims davon profitieren, dass sie aus Mannheim kommen. Das interessiert doch kein Schwein. Die sind erfolgreich, weil sie einen gewissen Geschmack treffen. Man findet es höchstens sympathisch, dass sie sich zu ihrer Herkunft bekennen und nicht behaupten, aus Berlin zu kommen, nur weil sie plötzlich berühmt sind. Auch wir wissen immer noch, woher wir kommen: aus Düsseldorf.

Fällt es Ihnen durch Ihre Tourerfahrung leichter, sich auf fremde Städte einzulassen?

Absolut. Das kann man mir glauben oder nicht: Ich lebe aus dem Koffer. Ich brauche kein eigenes Zimmer. Ich hänge noch nicht mal mehr an meiner Plattensammlung. Wenn die plötzlich weg wäre, würde ich einmal „Scheiße!“ rufen, das wär’s dann aber auch. Das Einzige auf der Welt, worauf ich nicht verzichten kann, ist mein Sohn.

Obwohl die Toten Hosen Pause machen, sehen Sie ihn im Moment kaum. Sie proben in Berlin für Ihre erste Rolle als Schauspieler den Mackie Messer in Brechts „Dreigroschenoper“. Warum tun Sie sich das an?

Weil es ein Vergnügen ist, mit Klaus Maria Brandauer zu arbeiten. Er ist so intelligent und eloquent. Die mit ihm verbrachte Zeit ist für mich Qualitätszeit, egal ob die Presse mich nach der Premiere verreißt.

Und wann machen die Hosen weiter?

Das dauert noch. Bloß keine Torschlusspanik – wir haben noch viel Zeit.