„Die Afghanen trauen ihren Leuten das zu“

AUSWERTUNG Vom Militär haben die Menschen in Nordafghanistan genug, die Entwicklungshilfe kommt an, sagt Jan Koehler, der den Einsatz untersucht

Solange die Polizei und die Milizen Geld und Uniformen haben, sorgen sie für die Sicherheit der Afghanen

BERLIN taz | Jahrelang hat die Bundesregierung gar nicht erst versucht, ihren Einsatz in Afghanistan an den 2001 selbst formulierten Zielen zu messen und auszuwerten. Insofern waren die Fortschrittsberichte über Afghanistan ab 2010 auch für die deutsche Politik ein Fortschritt. Andere Evaluationsbemühungen – Fehlanzeige.

Ein einziges Projekt an der Freien Universität Berlin befasst sich damit, was die nordafghanische Bevölkerung vom Engagement denkt. Alle zwei Jahre im Frühling befragt das Team um Jan Koehler Menschen auf dem Land, zuletzt in120 Dörfern: stiften der internationale Militäreinsatz und die Entwicklungshilfe eher Ängste oder Sicherheit, Abwehr oder Vertrauen?

Die Ergebnisse der jüngsten Erhebung gehen Ende dieses Monats ans Entwicklungsministerium. Laut Koehler zeigen sie zweierlei: „Gescheitert ist die Idee, dass internationale Truppen als kämpfende Einheiten Sicherheit für die Bevölkerung bringen.“ Denn mit dem Abrutschen der Lage in Nordafghanistan ab 2007 sei auch die Zustimmung zum ISAF-Einsatz geschwunden und habe sich bis heute kaum erholt. Die internationalen Truppen würden „nicht mehr als Sicherheitslieferant wahrgenommen“, obwohl sich die Lage im Vergleich zu 2010/11 beruhigt habe.

„Nicht gescheitert aber ist die Übergabe der Verantwortung an Afghanistan“, sagt Koehler. „Die Leute trauen ihren eigenen Kräften das zu, sofern diese weiter bezahlt werden.“ Das gelte im Norden auch für die Polizei, die in südlicheren Landesteilen als korrupt und gefährlich gilt. Selbst die von USA und Zentralregierung um 2010 aufgestellten Milizen hätten inzwischen vielerorts eine positive Sicherheitswirkung – „jedenfalls solange sie Uniform und Gehalt haben.“

Die Aufbauhilfe „kommt in den Dörfern an“, stellt Koehler fest. Sie sei auch erfolgreich, da sie „verstärkt dem afghanischen Staat zugeschrieben wird“. Es gebe aber auch Beispiele für kontroverse Entwicklungen: In Chinzai, einem Dorf zwischen Kundus und Taloqan, „eskalierte 2007 der Streit um ein Gesundheitsprojekt für Frauen, das eine NGO jenseits der Aufsicht des Dorfes durchführen wollte, so dass der Ältestenrat des Ortes sämtliche Entwicklungsprojekte stoppte“, berichtet Koehler. „Entwicklung wird von manchen auch mit lokaler Wertegefährdung in Verbindung gebracht.“

Koehlers Daten legen nahe, dass die „zivil-militärische Kooperation“, die von mehreren Bundesministern in Folge hochgehalten wurde, in die Irre geht. Die AfghanInnen sind offenbar nicht mit mehr Hilfe von der Militärpräsenz zu überzeugen – und auch nicht umgekehrt.

Letztes Mal hat das Entwicklungsministerium Koehlers Ergebnisse auf der Internetseite eher versteckt. Vielleicht traut es sich im Jahr des Abzugs, sie zu veröffentlichen. UWI