Gegen den Trend zum Heiligenbild

KUNST Ciprian Muresan spielt mit den Werken anderer Künstler – und hat immer die Wirklichkeit seiner rumänischen Heimat im Blick: die Armut und die Macht der orthodoxen Kirche. Der n.b.k. zeigt eine Werkschau

Auch in Rumänien erlangte die Kirche nach dem Zerfall des Sozialismus großen Einfluss auf die Gesellschaft

VON PHILIPP GOLL

Dass in der Kunst Sujets und Materialien immer auch aus vergangenen Epochen bezogen werden, dass sich Kunst also retrospektiv orientiert, um etwas Neues zu schaffen – das ist seinerseits nicht neu. Was seit den 1970ern als appropriation art, also als Kunst der Aneignung firmiert, hat aber dennoch oft den Status des Zweifelhaften, wenn nicht sogar Unredlichen. Der Vorwurf, da wolle sich wohl jemand mit fremden Federn schmücken, steht auch heute noch schnell im Raum. Hinter solchen Anschuldigungen verbirgt sich nicht selten eine Auffassung von Kunstgeschichte als Folge abgeschlossener Epochen und Kanon vollendeter Werke.

Für den Künstler Ciprian Muresan scheint die Kunstgeschichte dagegen anderen Regeln zu folgen. Welche das sein könnten, davon kann man sich in der Galerie des Neuen Berliner Kunstvereins n.b.k. ein Bild machen. Nach Gruppenausstellungen in renommierten Galerien und Museen rund um den Globus (jüngst im Centre Pompidou) ist die von Marius Babias kuratierte Werkschau die erste Einzelausstellung des 1977 im rumänischen Cluj-Napoca geborenen Muresan.

Rumänisches Triptychon

Muresan arbeitet überwiegend konzeptuell. Daher ist es keine kuratorische Verlegenheit, für die Arbeit „Pioneer“ (2010) jene Zeichnungen, die eigentlich einen Animationsfilm ergeben, einfach als ebendiese Zeichnungen auszustellen. An der Wand in Reih und Glied aufgehängt, zeigen sie einen Klebstoff schnüffelnden Jugendlichen. Er bekleidet die mittlere Position von Muresans Animationsfilm-Triptychon, das Stationen aus Biografien im postsozialistischen Rumänien zeigt: Ein Junge, der getauft wird, ein Jugendlicher, der Klebstoff schnüffelt, ein Mann, der aus einer Mülltonne isst. Zentral ist im Großteil von Muresans Arbeiten auch die Aneignung von Werken anderer Künstler. Yves Klein, Mauricio Cattelan, Franz Kafka, Andrej Tarkowski, um nur ein paar zu nennen.

In seiner Arbeit „Leap into the Void, after three seconds“ (2004) etwa setzt er sich mit einer Fotomontage Yves Kleins auseinander, die auf einer Fotografie von Harry Shunk beruht. Die Montage zeigt Klein, wie er im Oktober 1960 in der Rue Gentil-Bernard in Fontenay-aux-Roses von einem Haus auf die Straße springt – die Arme ausgebreitet, davon überzeugt, nun fliegen zu können. Muresan versetzt diese Szene ins heimatliche Cluj und denkt sie zu Ende: In seiner Version fliegt der Künstler schon nicht mehr. Drei Sekunden nach Absprung liegt er auf dem Bürgersteig als profanes Häufchen Elend.

Neben Zeichnungen, Fotografien und Filmen ist in der Ausstellung auch die Wachsfigur-Skulptur „End of Five-Year-Plan“ (2004) zu sehen. Ciprian Muresan bezieht sich hier auf Maurizio Cattelans skandalträchtiges Werk, das Johannes Paul II. zeigt – erschlagen von einem Meteoriten, der nun auf seinen Beinen lastet. Bei Muresan jedoch hat das Gestein nicht den Papst, sondern Teoctist, den Patriarchen der rumänisch-orthodoxen Kirche, niedergestreckt.

Trend zum Heiligenbild

Der kritische Impetus liegt hier in einer Art doppeltem Ikonoklasmus vor dem Betrachter: Wie in den meisten ehemaligen Ostblockstaaten erlangte die Kirche nach dem Zerfall des Staatssozialismus großen Einfluss auf Politik und Gesellschaft, was auch in der bildenden Kunst Spuren hinterließ. So gab es an der eher konservativen Clujer Universität für Kunst und Design einen Trend zum Heiligenbild unter den malenden KunststudentInnen. Muresans „End of Five-Year-Plan“ ist also nicht nur eine Provokation der orthodoxen Kirche – vielmehr ist es auch eine Kritik am rumänischen Kunstparadigma der 1990er Jahre.

Seitdem hat sich einiges verändert. Dass Ciprian Muresan immer noch in Cluj, seiner dreihunderttausend Einwohner zählenden Heimatstadt lebt und arbeitet, ist nun auch Teil seiner Kritik des inzwischen viel zentralisierteren Kunstlebens Rumäniens. Gemeinsam mit Künstlerkollegen wie etwa dem Maler Adrian Ghenie, der wie er selbst zur „Cluj-Generation“ gehört, arbeitet er dort in einem Gebäudekomplex. Ihn nennt die Gruppierung – um einen Namen nicht verlegen – „factory“. Gegen den Zentralismus geht Muresan aber auch als Redaktionsmitglied der in Cluj herausgegebenen Kunst- und Kulturzeitschrift IDEA arts+society an. Das Magazin ist nicht nur schön anzuschauen, sondern für die Verständigung der Kunstszene des östlichen Europa äußerst wichtig.

Muresans Auffassung von einer lebendigen Kunstgeschichte wiederum, die niemals vollendet ist, deren „Werke“ in neue Kontexte übersetzt werden müssen, um neue Bedeutungsebenen zu eröffnen, resultiert womöglich ebenfalls aus einer biografischen Erfahrung. Markiert doch das Jahr 1989 in seiner Biografie ein Ereignis, das auch die Zeitgeschichte als kontingent erfahrbar machte und als modellierbar auswies. Genauso gut lässt sich ein Satz von Walter Benjamin in Erinnerung rufen: „Das Werk ist die Totenmaske der Konzeption.“ Ciprian Muresan nimmt den Werken ihre Totenmaske ab.

■ n.b.k., Chausseestr. 128/129, Mitte. Di.–So. 12–18 Uhr, Donnerstag bis 20 Uhr. Bis 22. August