DAS DING, DAS KOMMT
: Wunderbare Bratsche

DIE BRATSCHE, oft geschmäht, ist Schleswig-Holsteins Musikinstrument des Jahres. Herrlich!

Kommt der nach 40 Dienstjahren frisch-pensionierte Orchesterbratscher heim, legt den Instrumentenkasten auf den Tisch, klappt ihn auf – „Huch?!“, ruft seine Frau erschrocken, „was’n das?!“

Über die Bratsche aufzuklären hat der Landesmusikrat Schleswig-Holstein beschlossen. Er hat sie als Instrument des Jahres ausgerufen, der weltweit gefeierte Bremer Viola-Virtuose Nils Mönkemeyer hat die Schirrmherrschaft übernommen. Und was eine Bratsche ist, welchen Klang sie hat und welchen Ruf ihre SpielerInnen, das tut not zu wissen. Und sei es, um die Legion von Musikerwitzen zu verstehen. So gehört zur musikalischen Allgemeinbildung, dass Bratscher, nett gesagt, in sich ruhende Persönlichkeiten sind, weshalb manche behaupten, der Unterschied zwischen ihnen und der Wüste wäre, dass letztere lebt. Und als ebenso gesichert gilt, dass BratscherInnen das Üben scheuen wie der Teufel das Weihwasser, weshalb ja die Gattin des oben erwähnten Orchestermusikers das Instrument in all den Dienstjahren nie … Sie verstehen? Urkomisch, nicht?

Naja. Wer Bratsche spielt, wappnet sich am besten gegen derart geistreiche Anekdoten: „Kenne den Feind“, empfiehlt ja auch Sunzi in seiner Kriegskunst, „und kenne dich selbst – und du wirst in 100 Schlachten nie in Gefahr geraten.“ Und im Orchestergraben herrscht anerkanntermaßen Krieg – gegen die Bratsche und ihre SpielerInnen. Die armen müssen deshalb als Posaunenfutter direkt vor dem gesundheitsschädlichen Blech sitzen, das sie betäubt, aus dem Takt bläst und ihren humanen Ton überdröhnt.

Es hat allen Grund dazu. Denn ja: Die Bratsche, die aussieht, wie eine zu groß geratene Geige und letztlich auch nur eine Quinte tiefer gestimmt ist, klingt, wenn sie denn zu hören ist, so unendlich schön, dass man auf den Rest des Orchesters am liebsten sofort verzichtet: Weder schrill-schneidend, wie die Geige, noch dumpf-rumpelnd wie das Cello, sondern warm und innig, rauchig und irden, schluchzend und zart – herrlich! Die Bratsche kann wirklich alles, wie Mönkemeyer treffend festgestellt hat.

Lange haben die Komponisten, die um das wundervolle Geheimnis des Bratschentones wussten, dieses eifersüchtig für sich behalten. Deshalb gibt es nur wenig Solo-Literatur. Doch diese Reserve ist mittlerweile dahingeschmolzen, und das 20. Jahrhundert hat dann Karrieren ausgesprochen virtuoser Solobratscher erlebt, von denen einige sogar mal ein Vierundsechzigstel gespielt haben sollen. Aktuell setzt Mönkemeyer diese Reihe fort. Und während der NDR versprochen hat, sein Klassik-Musikprogramm unter den Bratschenschlüssel zu stellen, beginnt Schleswig-Holsteins Landesjugendorchester mit den Proben, um ihn als Solisten Anfang Mai würdig zu begleiten.  BES