„In seinen Idealen nicht nachgeben“

SOLIDARITÄT Salinia Stroux und das welcome2europe helfen an den EU-Grenzen Flüchtlingen konkret – das sei wahre Willkommenskultur. Worum geht es ihrem Netzwerk generell?

■ Als sie vor den Särgen der Toten von Lampedusa stand, habe sie „immensen Schmerz“ gespürt, twitterte die EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström während ihres Besuchs auf der Mittelmeerinsel im Oktober. Konsequenzen für ihre Politik hatte der Schmerz keine. Nach den Unglücken, bei denen im Herbst Hunderte ertranken, weil es für sie keinen legalen Weg nach Europa gibt, beschloss die EU nur eines: Ihre Grenzen noch stärker zu sichern. Mit dieser Seite Europas wird, ja muss sich auch das taz.lab 2014 befassen.

■ Dazu eingeladen haben wir Salinia Stroux (siehe Interview unten), Trägerin des taz Panter Preises 2013, sowie die Gründerin der französischen Sans-Papiers-Bewegung Madjiguene Cissé. Sie diskutieren mit einem Wissenschaftler des Global Detention Projects, der erforscht, wie Tausende internierte Flüchtlinge in Europa ihrer Freiheit beraubt werden – ohne eine Straftat begangen zu haben. Flüchtlinge werden berichten, wie sie ein Leben wie im gläsernen Käfig führen, weil Arbeiten ihnen verboten ist. Und schließlich haben wir auch Grenzschützer eingeladen, deren Arbeit es ist, die Unerwünschten fernzuhalten. (cja)

INTERVIEW GINA BUCHER

taz.lab: Frau Stroux, Sie engagieren sich mit dem Infomobile Griechenland vom Netzwerk welcome2europe für einen menschenwürdigen Empfang von Flüchtlingen, die in die EU einreisen möchten. Wie würden Sie die offizielle Willkommenskultur der EU beschreiben?

Salinia Stroux: Es gibt keine. Nur eine Kultur der Ausgrenzung und Kontrolle. Man möchte möglichst wenige, auserwählte Flüchtlinge aufnehmen. Die EU will, wie es so schön heißt, „die Migrationsströme managen“. Also ein paar wenige auslesen, diese „gutmütig“ aufnehmen, um sich nicht ganz so abweisend und unmenschlich zu zeigen. Die große Masse der Flüchtlinge, die man nicht will, vor verschlossener Grenze stehen lassen.

Wie wirken Sie dieser Politik entgegen, wenn Sie mit dem Infomobil in Griechenland unterwegs sind?

Wie versuchen den Menschen jene Informationen zu geben, die ihnen helfen, sich in dieser sehr schwierigen Situation in Europa zurechtzufinden. Sie müssen ihre Rechte erst kennen, um sie auch in Anspruch nehmen zu können, und sie müssen wissen, wo die richtigen Anlaufstellen sind. Und wir versuchen, die Menschen in der EU darauf aufmerksam zu machen, was da an den Grenzen der EU eigentlich los ist.

Welche legalen Möglichkeiten hat ein Flüchtling aus Afrika oder Asien, in die Europäische Union zu gelangen?

Die einzige momentan ist, als Kontingentflüchtling nach Europa zu kommen. So wie jetzt etwa Deutschland einige wenige Syrer aufnimmt. Oder wenn ein Flüchtling in der EU politisches Asyl anerkannt bekommen hat, hat er die Möglichkeit auf Familiennachzug. Ansonsten gibt es keine Möglichkeit.

Wie reagierte man in Griechenland auf die Nachrichten aus Lampedusa?

Es gab jedenfalls keine Debatte darüber, dass es ja in Griechenland eine ganz ähnliche Situation gibt. Über 150 Flüchtlinge starben innerhalb des letzten Jahres beim Versuch, von der türkischen Küste auf die griechischen Inseln zu gelangen. Das waren nur die bekannten Fälle. Nach Berichten von Amnesty International und Pro Asyl greifen die griechischen Behörden nachts an der Grenze zu den griechischen Inseln Flüchtlinge in Schlauchbooten auf, und zwar systematisch. Sie nehmen ihnen ihre Dokumente und Besitztümer weg und bringen sie mit Gewalt zurück in die Türkei. Lampedusa ist auch in Griechenland, nur beschäftigen sich damit dort die wenigsten.

Wird das gar nicht diskutiert?

Flüchtlingspolitik ist durchaus immer wieder ein Thema in den Medien. Doch Griechenland steckt so sehr in der Krise, dass die Durchschnittsbevölkerung ganz andere Probleme hat. Die steigende Arbeitslosigkeit, kranke, nicht versicherte Menschen, die nicht versorgt werden, und so weiter. Vielmehr wird das Thema von den Politikern instrumentalisiert, um ihre repressiven Politiken wie etwa Massenrazzien oder den Bau riesiger Internierungslager zu rechtfertigen. Sie reden in ihrer Propaganda über „Wellen illegaler Einwanderer, die ins Land schwemmen“, und stellen Flucht in den Kontext von Kriminalität sowie die vermeintliche Gettoisierung der griechischen Städte.

Was bedeutet die neue Frontex-Verordnung konkret?

Nach der EU-Kommission sollten Europas Grenzschützer künftig Flüchtlinge auf dem Meer stoppen und zurückschieben dürfen. Damit wären die schon jetzt systematisch durchgeführten illegalen Pushbacks von Flüchtlingen legalisiert, der Zugang zu Schutz von vornherein verwehrt. Statt einer Verbesserung der Seenotrettung, statt in den Flüchtlingsschutz investiert Europa also in den Ausbau von Frontex. Es ist aber sinnlos, die Grenzen noch mehr zu verstärken. Denn das Problem ist ein anderes: dass Menschen aus Ländern fliehen, in denen sie in Gefahr sind, und keinen Zugang bekommen zu Ländern, in denen sie Schutz finden könnten. Durch die Verbarrikadierung der Grenzen werden diese Menschen lediglich gezwungen, noch gefährlichere und teurere Wege zu gehen. Europa investiert so lediglich in mehr Tote an den Grenzen und höhere Verdienste für Schmuggler.

Wie müsste eine menschenwürdige Willkommenskultur aussehen?

Wir von welcome2europe wollen keineswegs Lücken schließen, sondern wir wollen welche öffnen. Wir plädieren grundsätzlich für Bewegungsfreiheit und offene Grenzen, gegen Kontrollen und Ausgrenzung.

Hinter dieser Forderung steckt der Widerspruch, dass tatsächlich offene Grenzen in der EU die wenigsten wollen.

Viele EU-Bürger wollen offene Grenzen für sich, aber nicht für alle. Ich finde, da liegt der eigentliche Widerspruch. Man darf in seinen Idealen nicht nachgeben, muss für seine Vorstellung einer richtigen Welt kämpfen. Deswegen beteilige ich mich nicht daran, über realistische Reformen nachzudenken – das ist die Arbeit anderer Leute. Wir kämpfen für gleiche Rechte für alle.

Gina Bucher, 35, gehört seit 2009 zum taz.lab-Team