Verkaufen bis zum Umfallen

Berlin steht nach der Föderalismusreform vor neuen Ladenöffnungszeiten: werktags rund um die Uhr und ein paar verkaufsoffene Sonntage mehr, so könnte das aussehen. Handel jubelt, Ver.di warnt

VON NINA APIN
UND SEBASTIAN LEHMANN

Werktags nach 20 Uhr noch ein Herrenhemd im Kaufhaus kaufen oder Sonntagabend ein Buch bei Dussmann. So könnte sich die Föderalismusreform auf die Ladenschlusszeiten in Berlin auswirken. Denn künftig bestimmt nicht mehr eine Einheitsregelung des Bundes, sondern die Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz, wie lange die Händler in der Stadt ihre Geschäfte öffnen dürfen.

Berlin und Brandenburg planen, den Verkauf werktags rund um die Uhr freizugeben. Ob zusätzlich an vier oder sechs Sonntagen im Jahr geöffnet werden darf, ist offen. Eine Änderung des Ladenschlussgesetzes sei vor der Abgeordnetenhauswahl im September nicht mehr zu erwarten, so Roswitha Steinbrenner, Sprecherin der Sozialverwaltung.

Trotz aller Liberalisierung stünde der Arbeitsschutz für die betroffenen Arbeitnehmer aber weiterhin im Vordergrund, betonte Steinbrenner. Am Grundsatz der Sonn- und Feierabendruhe werde man festhalten. Jedem Arbeitnehmer solle ein freier Sonnabend im Monat garantiert bleiben, Arbeitnehmer mit Kindern unter 12 Jahren oder pflegebedürftigen Angehörigen im Haushalt blieben von Nacht- und Wochenendarbeit befreit.

Holger Lungau von der Industrie- und Handelskammer (IHK) Berlin begrüßt die Liberalisierung der Öffnungszeiten als „Schritt in die richtige Richtung“. Langfristig sei es wünschenswert, die längeren Öffnungszeiten auch auf die Sonntage auszudehnen, so Lungau. Die jeweils vier verkaufsoffenen Sonntage in den letzten Jahren hätten gerade für Läden in der Innenstadt hervorragende Umsatzergebnisse erzielt. „Eine Stadt wie Berlin, die damit wirbt, eine internationale Shoppingmetropole zu sein, muss ihren Gästen auch den entsprechenden Service anbieten können“, sagte Lungau.

Genau an dieser Argumentation zweifelt die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di, die große Bedenken gegen eine Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten hat. „Der Service-Gedanke ist nur ein vordergründiges Argument“, sagt Handelsexperte Ulrich Dalibor. „In Wirklichkeit begünstigt die Verlängerung der Ladenschlusszeiten nur den Verdrängungswettbewerb im Einzelhandel.“ Große Ketten und Discounter würden über das Mehr an Kundenservice ihre Vormachtstellung auf dem Markt weiter ausbauen, fürchtet die Gewerkschaft. Die Leidtragenden seien am Ende die Arbeitnehmer.

„Zahlen belegen, dass verlängerte Öffnungszeiten keineswegs zu mehr Umsatz führen, dafür aber zu höheren Betriebskosten“, stellt Dalibor fest. „Gespart wird am Ende bei den Arbeitnehmern.“ Dass durch längere Verkaufszeiten mehr Arbeitsplätze entstünden, hält der Gewerkschafter für ein Märchen und warnt vor der Erodierung sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze: Statt zusätzliche Stellen zu schaffen, wandelten Arbeitgeber bestehende Jobs in Teilzeitstellen und geringfügige Arbeiverhältnisse um, so Dalibors Prognose.

Ver.di, das auf Bundesebene schon gegen die Sonderöffnungszeiten während der Fußball-WM geklagt hat, behält sich vor, im Fall einer Verabschiedung des neuen Ladenschlussgesetzes auch in Berlin rechtliche Schritte zu unternehmen.

Die verlängerten Ladenöffnungszeiten während der WM könnten ein Vorgeschmack auf die künftige Einzelhandelslandschaft in Berlin sein. Die Erfahrung von betroffenen VerkäuferInnen sind aber eher zwiespältig. In der Männerabteilung von Karstadt am Hermannplatz, die derzeit werktags bis 22 Uhr geöffnet hat, kommen nach 20 Uhr kaum noch Kunden, berichten Verkäuferinnen. „Eigentlich könnten wir um acht zumachen“, dieses Resümee ziehen auch Beschäftigte eines Blumenladens an der Friedrichstraße. Das Kulturkaufhaus Dussmann, das heute schon regulär werktags bis 22 Uhr geöffnet hat, schoss etwas über das Ziel hinaus. Den späten Ladenschluss um Mitternacht nutze kaum ein Kunde ,so die Beobachtung der Angestellten. „So spät kauft keiner mehr Bücher.“