katis kurzes comeback
: Die finale Frage: Wer kommt wieder mit zurück in den Alltag?

Ist das alles, was das Leben fragt: Kommst du mit in den Alltag? (Blumfeld, 1999)

Manchmal fragt das Leben auch, ob man mit in den Ausnahmezustand möchte. Einen Monat lang im Fernseher die Fußballweltmeisterschaft im eigenen Land gucken. Gut, wenn das Leben etwas mondäner, cleverer und neugieriger wäre, hätte es einen auch mal mit ins Stadion nehmen können. Hat es aber nicht. Der Vorteil: keine Zeitverschwendung durch Reisen, von den 64 Spielen nur solche live verpasst, die parallel ausgetragen wurden.

Der Nachteil: ein persönliches Defizit an Stimmungshysterie, was ein kleines Problem ist bei einer Weltmeisterschaft, die nicht wegen ihres selten hinreißenden Fußballspiels, sondern vermutlich wegen der guten Laune unter den Fans und des prima Verhältnisses von Gastgebern und Gästen in Erinnerung bleiben wird. Vielleicht auch wegen all der klugen Überlegungen, was schwarzrotgoldene Beflaggung von Autos und Fenstern im Jahr 2006 einem sagt.

Unsere Gesamtstimmung ist gerade etwas durcheinander. So aus fußballpatriotischer Sicht betrachtet. Scheiße, Finale vergeigt. Aber die Jungs haben echt prima gespielt. So ungefähr geht der Spagat. Tendenz: leicht zwanghaftes Freuen über eine Mannschaft, die ihrerseits als Superkollektiv unter Super-Klinsmann eine Neigung zu sektenhaften Zügen entwickelt: die Jürgen-Wirs. Den Jürgen-Wirs sind sowohl die Möglichkeiten als auch die Grenzen ihres Schaffens dadurch aufgezeigt worden, dass sie heute Abend das „Finale der Herzen“ spielen. Es hat nicht lange gedauert nach dem Halbfinale, bis jemand im Fernsehen diesen blödsinnigen Euphemismus herauskramte. Und wenn die Mannschaft heute nicht gewinnt und also nicht Weltmeister der Herzen wird, was ist sie dann? Herzensfinalist? Vizeherz? Oder fliegt sie aus den Herzen raus?

Es ist Zeit, dass die WM zu Ende geht. All der Fußball und all das Fußballgerede erzeugen Nikotinvergiftungen und Braindrain. Könnte natürlich auch an der Hitze liegen. Die Engländer hatten von Anfang an Recht, es ist zu heiß hier. Würde es jemanden wundern, wenn am Montag ein Temperatursturz käme und somit feststünde, dass auch das Wetter Eigentum der Fifa ist?

Um aber mal langsam auf die Eingangsfrage zurückzukommen. Ja. Gern. Ich komme sofort mit in den Alltag, ich kann gar nicht genug sagen, wie sehr ich mich darauf freue. Freies Wetter, freie Abende, freie Zeit in Ruhe Zeitung zu lesen oder unter Weiden wegzudämmern.

Und Fernsehpause: keine schmierigen Kredit-Werbespots mehr mit Männern, die sich für Geld in eine Schlange bierholender Holländer werfen müssen. Auch keine noch schmierigeren Witze mehr von Waldi, der gar kein Dackel ist, sondern auch ein Biertrinker. Keine Moni vorm Hoteltor, weder eine, die Stimmen hört, noch eine, die Schlafgewohnheiten von Assistenztrainern erforscht. Keine Mittagspressekonferenzen mehr, in denen Per Mertesackers Gesicht Bände spricht, was für ein Quatsch tägliche Mittagspressekonferenzen sind. Kein Zickereien mehr zwischen Delling und Netzer, kein Wesen Urs und kein Gefühlsfaktotum Kerner. Kein Beckmann-Gefasel von Cinemascope-Fußball, während man einem Catenaccio-Spiel zusieht.

Und wenn sich ungefähr drei bis vier Tage nach WM-Ende abzeichnet, dass es bereits wieder vorbei ist mit dem Gefühl totaler Fußballübersättigung, dann ist Trost schon nicht mehr fern: Am folgenden Sonntag zum Beispiel überträgt das Deutsche Sportfernsehen live das Testspiel Rot-Weiß Essen gegen Werder Bremen. Und bis zum Erscheinen der Saisonsonderhefte kann es auch nicht mehr lange dauern. Und am 11. August geht die Bundesliga wieder los. So durch und durch sturznormaler Fußball, und jeden Sonnabend Sportschau und die LierhausBeckmannundCo machen auch wieder mit. Und bei Arena lernt man ein paar neue TV-Lunatics kennen. Und zwischendurch gibt’s mittelmäßig gemurksten Fußball. Das wird schön.

Ja, komm, Leben, wir gehen zurück in den Alltag. In ein paar Monaten kommt uns dann diese WM ab und an wieder in den Sinn, so ganz langsam wird das anfangen, und dann erinnern wir uns gern. An Argentinien gegen Elfenbeinküste, an Klopp’-sche Taktikschule, an Australien gegen Kroatien, an Abende vor Fernsehern auf Schiffen, an Deutschland gegen Schweden, an Zinedine Zidane. Vielleicht ja auch an ein wunderbares Finale. (Und falls da noch jemand eine Karte übrig haben sollte …)