Wo der Dornfelder herkommt

Entdeckungstour durch das Weinland Württemberg: In der Staatlichen Lehr- und Versuchsanstalt für Wein- und Obstbau in Weinsberg bei Heilbronn wird experimentiert, um der Konkurrenz aus dem Süden entgegentreten zu können

von HANS GEORG FRANK

„Die Schwaben sind bescheiden“, stellt Günter Bäder fest, „über Erfolge sprechen sie nicht gerne.“ Der Direktor der Staatlichen Lehr- und Versuchsanstalt für Wein- und Obstbau in Weinsberg bei Heilbronn, 1886 auf königliches Geheiß als Weinbauschule gegründet, ist der oberste Weichensteller für die Winzer in Württemberg. Als solcher weiß er sehr wohl, wie gut es dem „Wengerter“ genannten Berufsstand geht, also einem Menschenschlag, der eine gute Ernte gern eigenem Bemühen zuschreibt und Misserfolge auf Gottes fehlenden Segen zurückführt. Wie diese Experten mit ihren Reben das Landschaftsbild am Neckar und seinen Nebentälern seit 120 Jahren prägen, das ist den Ergebnissen der Weinsberger Forscher geschuldet. Wenn es anderswo vielleicht ähnlich aussieht, mag das daran liegen, dass sich in Weinsberg die halbe Weinwelt ausbilden lässt, Togolesen ebenso wie Thais.

„O seliges Land“, jubilierte einst der unterhalb eines Weinbergs in Lauffen am Neckar geborene Friedrich Hölderlin, „kein Hügel in dir ist ohne Rebstock.“ Bei derlei Wahrnehmung mag der Dichter zwar schon mehr als nur ein Gläschen intus gehabt haben, „geschlotzt“, wie man in seiner Heimat sagt. Doch immerhin hat es Württemberg mit einer Anbaufläche von über 11.000 Hektar zur viertgrößten Weinzone in Deutschland gebracht, nach Rheinhessen, der Pfalz und Baden. Aus ökonomischer Sicht haben die Schwaben die Nase noch weiter vorn, kaum einem Kollegen geht es besser als ihnen. Aber darüber sprechen sie ja nicht so gerne.

Mitteilsamer sind Bäder und seine Mitarbeiter, wenn sie jährlich 15.000 Neugierige in den Keller und ihre Trickkiste schauen lassen: „Wir haben keine Geheimnisse.“ Einer geschickten Sortenverteilung verdanken die fleißigen Württemberger ihre Spitzenstellung. Gut zwei Drittel aller Weinberge bringen Rotweine hervor. Der als „schwäbisches Nationalgetränk“ von Kennern gepriesene Trollinger nimmt über ein Fünftel der amtlich abgezirkelten Fläche ein. Diese Trauben verlangen nach besten Lagen, die ihnen freilich streitig gemacht werden von Neuzüchtungen. Obwohl der blasse Rote aus dem Süden bei immer mehr trendigen Nordlichtern, etwa auf Sylt, sommers gerne gekühlt geschlürft wird, kann er sich nur als lokale Spezialität behaupten.

Gegen die importierte Konkurrenz aus Bordeaux und Burgund sollen Sorten antreten, die in Weinsberg im dreißigjährigen Experiment entstanden sind: Der tiefrote Acolon oder der feinfruchtige Cabernet Dorio sind jene Pflanzen, mit denen sich die Württemberger auf dem globalen Markt behaupten wollen. Aus dem Labor in Weinsberg stammt auch der Dornfelder, der es zur Nummer eins unter Deutschlands Roten gebracht hat.

Auch Kerner kommt aus Weinsberg. Mit dieser Kreuzung aus Trollinger und Riesling wird der Arzt und Dichter Justinus Kerner geehrt. Der Stadt war seine enge Beziehung zum Wein offenbar so peinlich, dass sie auf einem Denkmal das Glas durch einen Federkiel ersetzen ließ. Dabei hat der lebenslustige und gastfreundliche Doktor täglich mehrere Liter des damals noch nicht so starken Rebensaftes präventiv eingenommen. Sein Kristallkelch mit ziemlich abgenagtem Rand ist im musealen Wohnhaus zu sehen. Heutzutage könnte er seinen Namen wiederfinden als „Justinus K.“ auf den Etiketten von über einem Dutzend Betrieben. Sie haben den zu profilloser Massenware verkommenen Kerner nach einem Konzept der Weinbauschule zu einem Markenprodukt veredelt – wenig Ertrag, höchste Qualität, ausgeprägtes Fruchtaroma. Ein Stoff für Genießer.

In der futuristischen Vinothek des Staatsweinguts lässt sich der „Justinus K.“ verkosten. Dort fällt das moderne Design auf Flaschen und Etiketten auf. „Traumzeit“ und „Erste Berührung“ ist da zu lesen. Oder „Ich & Du“ auf einem Weißwein, „Sie & Er“ auf dem Rotwein daneben. „Wenn’s sein muss, füllen wir auch einen ‚Er & Er‘ ab“, sagt Günter Bäder augenzwinkernd.

In Beziehungsfragen ist Weinsberg sowieso eine erste Adresse. Über dem Städtchen thronen die ruinierten Reste jener Burg, die 1140 zum Schauplatz weiblicher List und Liebe geworden ist. Der Belagerer, Kaiser Konradin, gewährte den Frauen freien Abzug samt allem, was ihnen a) teuer und b) auf dem Rücken tragbar war. Also schleppten sie ihre Mannsbilder auf dem Buckel den Berg hinunter. Seither heißt der Hügel Weibertreu, was ein Museum im Rathaus ausgiebigst dokumentiert.

Der Blick von der Weibertreu macht Lust auf Wein. Diesseits und jenseits des Autobahnkreuzes erstrecken sich die Rebenreihen des Großraums Heilbronn, der 50 Prozent des Württembergers hervorbringt. Bei einem Gläschen mit Blick auf die Weibertreu mag man darüber räsonnieren, ob die Partnerin wohl im Falle eines Falles auch die Last des rettenden Abtransports auf sich nähme.

Vor dem, möglicherweise ernüchternden, Resultat solchen Nachdenkens erinnert man sich lieber jener baltischen Gräfin, Juliana von Kruedener mit Namen, die vom Rappenhof aus eine Allianz gegen Napoleon schmiedete. Ob sie damals, 1815, so fürstlich tafelte, darf freilich bezweifelt werden. Eine Tour durch das Weinland Württemberg führt zu Grafen und Genossen, zu großen Namen und geheimen Tipps. Selbst ein liberaler Staatssekretär, Richard Drautz aus Heilbronn, besitzt ein Weingut mit exzellenten Kreszenzen. Überall kann man probieren und am besten gleich kaufen. Denn die Schwaben sind nicht nur bescheiden, sondern vor allem geschäftstüchtig.