: Ästhetisch aufgeschäumt
Brüder, ins Blaue! Das Festival „Rohkunstbau“ im schönen Wasserschloss in Groß Leuthen unweit von Berlin dreht sich um die Ideale der Französischen Revolution, um Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Dabei verachtet die Ausstellung aber explizit das Gesellschaftspolitische, und das ist ihr Manko
von HENRIKE THOMSEN
Im Sommer gehört das Festival „Rohkunstbau“ in Groß Leuthen seit Jahren schon zu den schönsten Ausflugszielen rund um Berlin. Anderthalb Autostunden von der Hauptstadt entfernt, im südlichen Spreewald, ist in dem idyllischen Wasserschloss ein Ausstellungsort entstanden, für den hochkarätige Künstler aus aller Welt besondere Arbeiten entwickeln. Ein ehrgeiziges Rahmenprogramm mit Theater, Musik und Filmnächten kommt hinzu. Ab diesem Sommer orientiert sich das Festival neu: Statt sich auf das Schloss mit seiner romantisch abgeschiedenen Lage und seiner wechselhaften Geschichte zu beschränken, geht es bis 2008 um eine Auseinandersetzung mit den Idealen Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.
Nichts Geringeres also als die ganz großen Begriffe der Weltgeschichte und Gesellschaftsphilosophie sollen befragt werden im kleinen brandenburgischen Dorf. Dabei hat man den Umweg über Krzysztof Kieślowskis Film-Trilogie „Drei Farben: Blau Weiß Rot“ genommen, die den abstrakten Prinzipien konkrete Lebensgeschichten gegenüberstellt. Der Umweg ist zunächst gutes Marketing – Juliette Binoche und Julie Delpy sind allemal attraktivere Aushängeschilder als Rousseau und Robespierre. Es entspricht aber auch inhaltlich dem Konzept: „Wenn Catherine David diese Ausstellung gemacht hätte, gäbe es jede Menge Papier und Bücher zu lesen. Ich mag es nicht so didaktisch. Es geht mir weniger um die Frage, was Freiheit an sich heute bedeutet, sondern darum, was es heißt, sich frei zu fühlen. Insofern ist es ein eher loses Ausstellungskonzept mit Raum für persönliche, individuelle Sichtweisen“, sagt der Kurator Mark Gisbourne.
Für „Blau“ oder die Auseinandersetzung mit Freiheit hat Gisbourne in diesem Jahr Künstler wie Mona Hatoum, Monica Bonvicini, Gregor Schneider, das britische Duo Langlands & Bell und die russischen Anarcho-Performer The Blue Noses gewonnen. Hatoum zeigt im Obergeschoss Arbeiten aus einem Workshop mit ägyptischen Kindern, deren Aufgabe es war, Käfige herzustellen. Die Gebilde aus Alltagsgegenständen wie Gabeln, Ketten oder Aluminiumblech sind zugleich komisch und bedrückend; manche bieten unauffällige Schlupflöcher, aber die meisten zeugen in ihrer unerbittlichen Strenge von einem Leben in starken gesellschaftlichen Konventionen. Im Kontrast dazu steht das Projekt „Garderobe“ von Melanie Manchot mit Jugendlichen aus Groß Leuthen, die die Künstlerin für einen Tag in Uniformen steckte und anschließend befragte. Am aufschlussreichsten dabei sind vielleicht die grundsätzlichen Perspektiven der Kinder: Für die deutschen Jugendlichen ging es zuerst um Freiheit, dann um ihre möglichen Einschränkungen, bei den arabischen um Unfreiheit und deren schwer umgehbare Realität.
Eine übergreifende politische Stellungnahme liefert die Ausstellung nicht. Sie verachtet im Katalogvorwort offen die „gesellschaftspolitischen Phrasen“ der Politik, implizit eben auch theoretische Ausstellungsansätze à la David oder Okwui Enwezor. Allein dadurch entkommt sie der Latte nicht, die sie sich mit den Pathosformeln von 1789 selbst auferlegt – egal, wie klein sie sie hängen und zerstückeln möchte. Die erste Arbeit von Costa Vece im Schlossvestibül verkehrt sich ohne den nötigen Rahmen sogar in ihr Gegenteil: Der junge Künstler aus der Schweiz mit einem griechisch-italienischen Migrationshintergrund errichtete eine bedrohliche Installation aus Wellblechmauern, Stacheldraht und Graffiti, die ein eigenes „freies Land im Land“ einfordert. Außer der Rebellionsgeste vermittelt sich bar allen Kontexts aber nichts.
Im Keller des Schlosses dokumentiert Gregor Schneider seine gescheiterten Versuche, auf der Venedig-Biennale 2005 und auch in Berlin einen schwarzen Kubus zu errichten, der der heiligen Kaaba in Mekka entspricht. Aus den Skizzen und Fotomontagen geht hervor, dass Schneiders „Kaaba“ nicht als Provokation gegen religiöse Gefühle der Moslems gedacht war, sondern als Auseinandersetzung mit der „Blackbox Religion“ – dem geheimnisvollen, mystischen Zentrum jedes Glaubens. Auch Gedanken zur „Ersatzreligion Kunst“ werden wach, denn der Kubus wirkt wie die Installation zu Malewitschs „Schwarzem Quadrat“. Obwohl die Arbeit also differenziert angelegt ist, wurden beide geplanten Ausstellungen kurzfristig abgesetzt, ohne dass ein für Schneider nachvollziehbarer Grund genannt worden sei, erzählt Gisbourne. Der Kurator sieht in dem Akt der Behörden weniger eine gezielte Maßnahme gegen den Künstler als vorauseilenden Gehorsam: „Wir leben in einem Zeitalter der Konformität, und Selbstzensur ist eines der größten Probleme dabei.“
Doch jedes Kunstwerk und jede Ausstellung lebt von Kommunikation, und diese scheitert, wenn ihre Inhalte nicht angemessen zu Gehör gebracht werden. Nach dem Karikaturenstreit ist die politische Sensibilität im Umgang mit islamischen Symbolen hoch, und vielleicht war es bloß vernünftig, die Arbeit für einen späteren Moment aufzusparen, zu dem man sie in ihrer komplexen Intention besser versteht. Es ist bezeichnend, wie Gisbourne hier nur die Perspektive der individuellen Freiheit des Künstlers vollzieht. So ist auch Kieślowskis „Blau“ typisch für die Neunzigerjahre, in denen das Selbstverwirklichungsprojekt des Einzelnen im Mittelpunkt stand.
Inzwischen sind Faktoren aufgetaucht, die die Frage der Freiheit unter neuen Bedingungen stellen. Allen voran das wieder auflebende Kollektiv als Glaubensgemeinschaft und die sicherheitstechnische Überwachung der Bürger und Städte. Einen Versuch in letztere Richtung gibt es mit der Installation „Wer hat Angst vor Blau, Weiß, Rot?“ von Langlands & Bell, die sich mit den Abkürzungen von politischen Organisationen (UNHCR etc.), Geheimdiensten (CIA) und Terrorgruppen (RAF) beschäftigt. Die endlos überblendeten Abkürzungen vermischen die Codes und deuten auf fehlendes Wissen über das, was hinter den ständig in den Medien auftauchenden Labels steht. Die Arbeit widmet sich jedoch selbst lieber der ästhetischen Fläche als dem Geflecht der Strukturen – im Gegensatz etwa zu Julia Schers Internetprojekt „Security World“.
Rohkunstbau streift seine Themen eher, statt sie klar zu benennen. Der Schriftzug „3farben“, den man für das Motto ausgesucht hat, sieht aus wie aus einer Zahnpastatube mit blauweißroten Streifen gequetscht. So schmeckt das Ganze auch: ein bisschen zu aufgeschäumt, ein bisschen zu soft und zu glatt. Allons, enfants – mehr Mut zum Politischen!
XII. Rohkunstbau, bis 10. 9., Wasserschloss Groß Leuthen/Spreewald, Mi.–Fr. 14–20 Uhr, Sa./So. 10–20 Uhr (Sonderveranstaltungen in Zusammenarbeit mit den Berliner Sophiensælen, Theater Hebbel am Ufer u. a., siehe auch www.rohkunstbau.de). Busshuttle jeden Samstag, 16 Uhr, vom Schlossplatz Berlin-Mitte
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