die taz vor 8 jahren über den letzten wahren anarchisten
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Restaurants mit einem Wir-müssen-leider-draußen-bleiben-Schild im Fenster betrete ich nie, empfehle sie aber weiter – und zwar meinen Freunden von der Sprayerfraktion. Da, wo Köterfeinde ihre Hausecke mit selbstgebastelten Sprüchen à la „Hier ist kein Hundeklo“ verzieren, fordere ich die Töle sofort zum kleinen, gerne aber auch großen Geschäft auf. Nach erfolgreichem Abschluß gibt's ein Leckerli.

Amtliche Befehle wie „Hunde sind an der Leine zu führen“ kann ich selbstverständlich nicht befolgen. Ich bin kein Führer. Kaum erblickt, wird der Stinker auch schon ausgeklinkt. Fröhlich pinkelt er Grabsteine an und setzt einen dampfenden Haufen direkt neben das „ewige Licht“ vor dem Kriegerdenkmal. Mein Hund ist der letzte Anarchist. Er hat keinen Respekt vor der wohlgeordneten Welt.

Manipulieren, also erziehen, läßt er sich nicht. Seit Jahr und Tag versuche ich zum Beispiel, meinen Haß auf Jogger auf ihn zu übertragen, funktioniert nicht, Jogger interessieren ihn nicht die Bohne. Dabei sind sie nun wirklich das letzte. Man geht gemütlich durch einen öffentlichen Park und schon kommt einer angetrabt. Gut einen Meter vor mir bremst er. „Wir Läufer“, hebt er an, „haben ein Problem mit euch Hundehaltern“. „Ach, was“, sage ich und grinse. Das mögen sie nicht. „Oh, ja“, sagt er, „und das wißt ihr auch ganz genau, dies ist eine öffentliche Grünanlage und hier sind Hunde an der Leine zu führen.“

Ich grinse ihn an, schüttele den Kopf und sage: „Kaum zu glauben, so ein junger, durchtrainierter Körper mit einer geschmackvollen Dreiviertelglatze hat Schiß vor einem zwanzig Zentimeter großen Hund.“ Jetzt will er mir am liebsten eine reinhauen, aber da ist noch mein Hund. Der gähnt zwar gerade, aber Herr Läufer interpretiert das als Drohgebärde. Also flucht er und galoppiert davon. Glück gehabt. Denn mein Hund ist zwar Anarchist, aber einen Angriff auf seinen Rudelchef hätte er nie und nimmer verziehen.

Karl Wegmann, taz v. 8. 7. 1998