Die ganze City zittert wieder

Bochum Total. Zwischen Müllberg und Gehörschaden. Zum 21. Mal wird die Innenstadt zur Giga-Festivalwiese

Diesen Hinweis kann er sich einfach nicht verkneifen. Marcus Gloria, 42, bemerkt nur zu gerne, dass er die GEMA besiegt hat. Vor zwei Jahren forderten die Hüter über Musikrechte, die sich einst den Bandwurm „Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte“ zum Namen nahmen, gut 110.000 Euro als Gebühr für Glorias Musikfestival Bochum Total. Der Veranstalter schluckte. Das war etwa das 37-fache dessen, was er sonst zu zahlen hatte für sein Gratis-Freiluftspektakel, das ab Donnerstag zum 21. Mal die Bochumer City erzittern lässt. Also klagte er. Und klagte. Und klagte. Und gewann.

Darauf ist Gloria heute mächtig stolz. Zumal er überzeugt ist, dass, hätte er zahlen müssen, Bochum Total nicht mehr existieren würde. Aber es lebt und bebt. Den Bochumer Innenstadt-Bewohnern graust vor einem langen Wochenende, an dem vier Tage lang rund eine Million Menschen durch zugemüllte Gassen lärmen, klatschen, literweise Bier ausschwitzen. Manche, heißt es, die so deppert waren, sich in der Innenstadt einzuquartieren, führen regelmäßig wegen Bochum Total in Urlaub. Bloß weg. In die Stille. Om.

Dieses Jahr sind die Ruhesucher aber offenbar nicht die einzigen, die ein Problem mit Bochum Total haben. Im Gästebuch auf der Homepage zum Festival finden sich Dutzende Einträge, in denen Menschen leberwursten, das Programm sei „grottenschlecht“, es sei „nicht eine gescheite Band dabei“ und sowieso sei früher alles viel – jaja.

Offenbar ein Trend unter Festivalbesuchern, die vielleicht den Unterschied verkennen zwischen Festivals, für die man ordentlich blechen muss, und solchen wie Bochum Total, die keinen Eintritt nehmen. Unlängst erst baten die Veranstalter der Bonner Rheinkultur, die ebenfalls kostenlos ist, in einem offiziellen Statement um eine „etwas realistischere Herangehensweise“ in Sachen Kritik und Erwartungshaltung. Auch hier wurde gemeckert. Wahrscheinlich suhlten sich eben jene Miesepeter am Festivaltag irgendwo auf dem Gelände zufrieden in Sonne und eigenem Saft.

Natürlich ist Kritik erlaubt. Wenn man beachtet, dass bei Umsonst-Festivals Geld nicht in der Größenordnung verschoben wird wie beispielsweise bei Rock am Ring, wo 80.000 Fans jeweils 130 Euro für ihr Ticket zahlen. So finanziert man GEMA-Kosten schon lockerer und holt obendrein noch Depeche Mode, Morrissey und Guns N‘ Roses. Da hält man in Bochum freilich nicht mit. Was aber auch nicht die Absicht ist des inzwischen „größten Musikfestivals Europas“ (Eigenwerbung), das 1986 als kleines Studentenfest begann. Und was auch undenkbar wäre. Depeche Mode auf dem Bochumer Innenstadtring? Lustig.

Nicht alles, was bei Bochum Total aufläuft, ist zum Angewöhnen. Gewiss nicht. Zum Beispiel die Bizeps-Rocker Secret Discovery: Die sind immer dabei, warum auch immer. Oder Voltaire, die Newcomer aus Bonn, mit ihrem jammerigen Deutsch-Quark – öde. Und was ist mit Namen? Auch die gibt es bei Bochum Total. Zumindest vereinzelt. Zum Auftakt kommen die Fehlfarben, die einer Lobhudelei nicht weiter bedürfen. Im Anschluss trompeten die Ska-Legenden The Toasters aus New York. Und ferner wurden Dog Eat Dog aus der Kiste geholt, die vor zwei Wochen sogar beim WM-Fest im Bochumer Ruhrstadion spielten – womöglich ein Indiz dafür, dass die Herren Geld brauchen.

Aber warum Stars? Warum nicht jene kleine, feine Jazz-Kombo aus Essen namens Spardosenterzett anhören? Oder Alpha Boy School, die Ska-Band um den Ausnahme-Musiker Karsten Riedel, der unter Ex-Intendant Matthias Hartmann am Schauspielhaus Bochum für Furore sorgte. Geht auch. Wenn man Menschenmassen mag. Wenn nicht, fährt man einfach in Urlaub. BORIS R. ROSENKRANZ

Bochum Total13. bis 16. Juli 2006Infos: 0234-65067