Kurz vor der Welteroberung

Die zweite „Sensation White“ wummert durch die Schalke-Arena. Im vergangenen Jahr feierten 15.000 Menschen zu House- und Trance-Klängen. Aber: Nur wer weiße Kleidung trägt, kommt rein. Dennoch expandiert das Entertainment-Konzept weiter

VON BORIS R. ROSENKRANZ

Ein Wunder, dass man die Haare noch in der Farbe tragen darf, die einem zur Geburt in die Gene gelegt worden ist. Also blond oder braun oder rot womöglich. Und nicht weiß, wie fast alles hier. Die Nichtfarbe blendet geradezu: Weißes Licht, weiße Deko, und die Menschen, deren Körper in wilden Spasmen zur Musik zucken, tragen ausschließlich weiße Kleidung. Sonst wären sie auch nicht hier, nicht in der Arena AufSchalke. Einlass nur in weiß. Das ist das erste Gebot.

Nein, dies ist keine Reportage über eine neue Techno-Sekte, die ihr Heil in kollektiver Musik-Extase sucht. Wenngleich Ähnlichkeit besteht. Es geht um ein Partykonzept, das Anfang des Jahrtausends eher zufällig in den Niederlanden erfunden wurde und sich seither anschickt, die Weltkarte mit schneeweißen Flecken zu übersäen. „Sensation White“ heißt dieser inzwischen durch und durch kommerzialisierte Spaß, der erstmals im Jahre 2000 durch das Stadion von Ajax Amsterdam wummerte. Veranstalter war damals und ist noch heute die Entertainment-Firma ID&T, eine der größten Veranstalterinnen der Niederlande. Als vor der ersten Party der Bruder des ID&T-Teilhabers Duncan Stutterheim ums Leben kam, dichtete Stutterheim auf den Flyer zur Party, wohl inspiriert durch die chinesische Kultur, wo Weiß die Farbe der Trauer ist: „Be part of the night – dress in white“. Die Partygäste folgten der Aufforderung, kamen damals nahezu ausnahmslos in weiß.

Das war die Geburtsstunde der Partyreihe. Das Konzept ist simpel: Neben dem Dresscode lebt das Event von populären House- und Trance-DJs, die der Masse Beats verabreichen. Insofern handelt es sich doch gewissermaßen um eine sektenartige Verbindung: Oben, über den tanzenden Jüngern, steht in der Kanzel der DJ, ein Guru quasi, der sich die Gemeinde mittels Musik zum Untertan macht. Er regiert sie, bewegt sie. Das Volk wackelt derweil auf der Tanzfläche die Hüften, gleichgeschaltet nicht nur durch die Musik, auch durch die einheitliche Kleidung.

40.000 Mitglieder zählt diese Gemeinde jedes Jahr, zumindest in Amsterdam, wo „Sensation White“ immer am ersten Juli-Wochenende stattfindet. Neben Belgien war Deutschland im vergangenen Jahr das erste Land, in das ID&T ihr Konzept exportierten. 15.000 Menschen kamen ins Stadion auf Schalke, tanzten, jubelten, waren eins.

Am kommenden Wochenende wiederholt sich das Spektakel, horrende 58 Euro kostet der Eintritt in die heilige Fußball-Halle. Sven Väth hat sich angekündigt, DJ Hell und Moguai, Phil Fuldner legt auf und die Münchner DJane Monika Kruse. Wohl gemerkt am selben Tag, an dem in Berlin mal wieder die Loveparade durch die Straßen kriecht. Aber „Sensation White“ und die Loveparade – da liegen Welten zwischen. Die Loveparade ist schrill, schmutzig, gaga. Und hatte, zumindest in ihren Anfängen, den Anstrich einer Bewegung mit politisch-ideellem Ziel. „Sensation White“ hingegen suggeriert allein durch ihre Leitfarbe Gediegenheit, Reinheit, Seriosität. Um nicht zu sagen: Sterilität. Aber hehre Ziele? Die Farbe Weiß wirke „anti-aggressiv“ und sorge für „positive Energie“, hat Bastian El-Zohbi von ID&T Deutschland einmal sagt. Aber sonst?

Ein religiöser Beigeschmack will indes einfach nicht weichen: Im Internet beschrieben Besucher nach der ersten deutschen Ausgabe von „Sensation White“ quasi ihre Erleuchtung. „Ich habe den Himmel und das Paradies auf einmal gesehen – nun kann ich sterben“, schreibt ein Besucher. Himmel und Paradies? Sterben? Alle Achtung. Und während man schon die Hand zum letzten Gruße hebt, flitzen die Augen weiter über die Zeilen, lesen etwas von einem „Traum“ und von „besser als Sex“, als es endgültig genug ist mit überschwänglichen Vergleichen.

Und „Sensation White“ wächst weiter. Neben Amsterdam, Antwerpen und Gelsenkirchen kommen in diesem Jahr noch Madrid und Barcelona hinzu. Doch nicht genug: Für 2007 sind – natürlich – New York und Paris in Planung. Oder auch Prag und Riga. Ja, selbst Beirut, Dubai und Shanghai sollen geweißt und eingemeindet werden. Ein Anflug von Welteroberung, der wenigstens in der chinesischen Industriestadt zu Irritationen führen könnte. Ausgelassen tanzen? In Weiß? Der Farbe der Trauer?

Samstag, 15. Juli 2006 Gelsenkirchen, Arena auf Schalke Tickets: 01805-150810