Uneins in der Burka-Frage

DEBATTE Zahlreiche arabische Medien kritisieren die französische Entscheidung. Doch es gibt auch Stimmen, die das Verbot begrüßen. Und Staaten, die es einführen wollen

■ Die in mehreren europäischen Ländern geführte Debatte um ein Verbot der Vollverschleierung muslimischer Frauen hat nun auch die Politik in Großbritannien erreicht. Ein Abgeordneter der britischen Konservativen brachte einen entsprechenden Gesetzentwurf in das Unterhaus in London ein. Die Initiative des Tory-Politikers Philip Hollobone hat aber kaum Chancen auf eine Mehrheit. Die meisten Abgeordneten der Regierungskoalition lehnen ein Verbot der Vollverschleierung ab. Auch Einwanderungsminister Damian Green erteilte den Plänen für ein Burka-Verbot eine Absage. Großbritannien sei eine „tolerante und sich gegenseitig respektierende Gesellschaft“. (rtr)

AUS KAIRO KARIM EL-GAWHARY

„Die westliche Welt hat eine Obsession, wenn es um das Verbot des Gesichtsschleiers geht.“ Die überregionale arabische Tageszeitung al-Hayat lässt keinen Zweifel daran, was sie von der letztwöchigen Entscheidung des französischen Parlaments hält, den Gesichtsschleier oder, wie er auf Arabisch heißt, den Niqab zu verbieten. Dabei handle es sich um den unterbewussten Willen, alles Islamische wegzudrängen, heißt es weiter. Solche Entscheidungen könnten nicht anders erklärt werden als im Zusammenhang mit der wachsenden Islamophobie, die ihren Ausdruck in einer Niqab-, Kopftuch- oder Minarettphobie finde.

„Das westliche Bewusstsein erlebt eine echte Krise, wenn es um seine Identität und das Akzeptieren des Anderen geht. Das Ganze würde noch viel schlimmere Ausmaße annehmen, wären die europäischen Gesetzgeber nicht den Prinzipien des Antirassismus und der persönlichen Freiheiten verpflichtet“, glaubt die Zeitung und fragt: „Welche Bedrohung stellen ein paar hundert oder vielleicht tausend Frauen, die den Niqab tragen, gegenüber 65 Millionen Franzosen dar?“

Aber die Zeitung macht auch die „amateurhafte Obsession muslimischer Gemeinschaften in Europa“ für die Krise mitverantwortlich, „wenn sie glauben, die Zukunft des Islam hängt von Tragen des Niqabs, dem Wachsen eines Bartes und dem Gebetsruf vom Minarett ab“. Das bringe die Phobien in Europa erst richtig in Schwung. Und am Ende, fürchtet al-Hayat, „sind es gerade die radikalen islamistischen Bewegungen, die die Integration und Koexistenz ablehnen, die von der wachsende Islamophobie in Europa profitieren“.

Während in den meisten arabischen Medien eher Unverständnis darüber herrscht, warum gerade der Niqab als marginales Phänomen im Zentrum der europäischen Debatte steht, gibt es in der arabischen Welt aber auch Stimmen, die die Entscheidung des französischen Parlament gutheißen, wie etwa die die saudische Bloggerin Eman al-Nafjan in ihrem Saudiwomen’s Weblog. „Für jede Frau, die tatsächlich aus freien Stücken den Gesichtsschleier wählt, gibt es hunderte, wenn nicht sogar tausende, die vom religiösen Establishment, der Familie und der Gesellschaft unter Druck gesetzt werden, ihr Gesicht zu bedecken“, argumentiert sie. „Was sollen wir opfern? Die eine Frau, die es dadurch schafft Gott näher zu sein, oder diese hundert anderen, damit die erste eine freie Wahl hat?“, fragt sie. Sie berichtet von saudischen Frauen, die darauf konditioniert wurden, dass der Gesichtsschleier unabdingbar ist, und die vor dem Fernseher sitzen, unverschleierte Frauen sehen und kommentieren: „Sie bekommen die Welt und wir das Jenseits.“

„Für jede Frau, die tatsächlich aus freien Stücken den Gesichtsschleier wählt, gibt es hunderte, wenn nicht sogar tausende, die unter Druck gesetzt werden, ihr Gesicht zu bedecken“

Tatsächlich verlaufen die Bruchlinien für oder gegen den Niqab auch quer durch die arabische Welt. Die syrischen Behörden sind gerade dabei, ein eigenes Niqab-Verbot für Lehrerinnen durchzusetzen, wenngleich still und heimlich.

Laut inoffiziellen Schätzungen sollen 1.200 Lehrerinnen von der Maßnahme betroffen sein. Sie wurden in andere Jobs in den lokalen Verwaltungen versetzt. Es gibt keine öffentlichen Verlautbarungen dazu, aber vor zwei Monaten begannen sich die ersten Lehrerinnen zu beschweren, dass sie gefeuert wurden. Es gibt keine schriftliche Direktive, nur eine vage Aussage des Erziehungsministers Ali Saad, als er vor dem Lehrerberufsverband am 27. Juni erklärte, dass „die Erziehung an syrischen Schulen objektiven und säkularen Methoden folgt und diese durch das Tragen des Niqabs unterwandert werden“. Er deutete an, dass andere Ministerien in Damaskus demnächst ähnliche Maßnahmen durchsetzen würden.

Der syrische Frauenrechtsorganisation Syrian Women Observatory geht der Schritt des Erziehungsministeriums nicht weit genug: „Der Niqab löscht die Identität der Frauen im Namen der Religion aus“, heißt es auf deren Webseite, „er sollte daher nicht nur in den syrischen Schulen verboten werden.“