19.000 Tote pro Jahr durch ärztliche Fehler in Kliniken

PATIENTENSICHERHEIT Laut AOK könnten Schnitzer vermieden werden, wenn man sie offener thematisierte

Etwa 40 Prozent der Fehler seien vermeidbar, heißt es in der AOK-Studie

BERLIN taz | Wegen Behandlungsfehlern in Krankenhäusern sterben in Deutschland pro Jahr fünfmal so viele Menschen wie im Straßenverkehr. Etwa 19.000 Menschen verlören ihr Leben durch Fehler in Kliniken, die Zahl der Straßenverkehrstoten liege bei rund 3.500 jährlich. Davor warnte am Dienstag in Berlin der Leiter des Instituts für Gesundheitssystemforschung an der Universität Witten/Herdecke, Max Geraedts. Geraedts ist einer der Autoren des AOK-Krankenhausreports 2014, den die Krankenkasse vorlegte.

Danach kommt es jährlich in rund 190.000 Fällen zu Behandlungsfehlern – das sind ein Prozent der insgesamt etwa 19 Millionen Behandlungen, die in den 2.000 Krankenhäusern im Land stattfinden. Zehn Prozent davon sind letal. Und, so Geraedts: „Tödliche Fehler passieren mit einer Häufigkeit von rund einem Promille.“

Ursachen seien vor allem Komplikationen während oder nach Operationen, Verwechslung oder falsche Dosierung von Arzneimitteln, Hygienemängel und der Einsatz neuer, weitgehend ungeprüfter Medizinprodukte.

Etwa 40 Prozent der Fehler seien vermeidbar, heißt es in der Studie. Die AOK drängt auf vermehrte Händedesinfektion, elektronische Verschreibungssysteme, ein strengeres Zulassungsverfahren für Medizinprodukte analog zu Arzneimitteln sowie flächendeckende Implantateregister. Der AOK-Vorstandschef Uwe Deh forderte eine „offene Fehlerkultur“. Wie gut eine Behandlung sei, hänge auch mit der Häufigkeit der jeweiligen Eingriffe zusammen. Dies gelte etwa für Hüftgelenkoperationen, aber auch für die Versorgung von Frühchen mit einem Geburtsgewicht unter 1.250 Gramm. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Babys sterben, liege bei Kliniken mit weniger als 15 Fällen pro Jahr um 87 Prozent höher als bei Häusern, die mehr als 45 Frühchen pro Jahr behandelten.

Kritik, dass die Fehlerrisiken anhand veralteter Daten des Aktionsbündnisses Patientensicherheit und des Sachverständigenrats aus dem Jahr 2007 berechnet worden seien, wies Geraedts zurück: An der Situation in den Kliniken habe sich seither wenig verändert.

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft warnte vor einer Verunsicherung der Patienten. „Nie hatten wir höhere Sicherheitsstandards“, sagte Hauptgeschäftsführer Georg Baum. Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, erklärte: „Ärzte schädigen Patienten nicht vorsätzlich.“ Es wäre „sehr bedauerlich, wenn die AOK das Thema Patientensicherheit erneut missbraucht, um dem Thema Pay for Performance eine kassenseitige Wendung zu geben“. HEIKE HAARHOFF