STRESSJUGENDLICHE UND PROBLEMBADEMEISTER: URBAN-HEAT-PLAGE IN AGGRO BERLIN
: Frische Brise, Fischbrötchen und chicks for free

VON CHRISTIANE RÖSINGER

Heiß war es die letzte Woche, unerträglich heiß. Die unmenschliche Hitze staute sich in den Straßen, stieg die Häusermauern hoch, wurde dort nachts wie in einem Kachelofen gespeichert. Die Nächte brachten keine Abkühlung, und tagsüber heizte sich der Moloch Berlin weiter auf. Dieser Zustand wurde bislang „Sommerhitze“ genannt, heißt aber seit Neustem „Urban-Heat-Phänomen“. Der Kampf gegen dieses Plage ist aussichtslos – langfristig können nur Frischluftschneisen entlang der Spree Abhilfe schaffen.

Die Hitze macht alle verrückt, auf den Straßen wird gehupt und aus den Autos rausgeschrien, Radfahrer fegen einen mit hochrotem Kopf vom Gehweg, Stressjugendliche und Problembademeister geraten in den Freibädern aneinander. In Neukölln sah ich einen oberarmrundumtätowierten Muskelshirtträger seinen müden Kampfhund unter wüsten Beschimpfungen an der Leine über die Straße ziehen, dem armen, leicht verfetteten Tier machte die erbarmungslose Hitze zu schaffen.

Drinnen bleiben ist bei 32 Grad Raumtemperatur auch keine Lösung. Wie soll man Lufttunnel bauen, wenn alle Fenster in eine Richtung gehen? Man ist zu nichts fähig, außer liegend leichte Unterhaltungskost zu konsumieren. Freitagnacht kam ein Stauffenberg-Film – unmöglich, bei der Hitze der Handlung zu folgen. Wer ist jetzt beim Komplott dabei, wer nicht? Diese undurchsichtigen Befehlstrukturen, das ewige zackige Durch-Holzzimmer-Gehen und alle Grafen, Vons, Reichs- und Feldmarschälle sehen so gleich aus, und dass der melancholische „Tatort“-Kommissar aus Kiel mitspielt, macht die Sache auch nicht einfacher.

So kann es nicht weitergehen, dachte ich. Raus hier! Raus aus Berlin! Samstag früh trat ich die Flucht vorm Hitzestau in die „Badewanne Berlins, zur Insel Usedom, an.

Der Badeort Bansin, eines der drei „Kaiserbäder“ auf Usedom, wurde 1897 eigens zum Badebetrieb von einem Berliner Hühneraugenoperateur gegründet. Es gibt Fischräucherbaracken am Strand und Reste abgeblätterten Ostcharmes, alles wirkt entschleunigt. Viele Rentnerpaare sind unterwegs, sehr oft hört man den sächsischen Dialekt, und der Strand ist ganz gerecht in gleich lange Textil- FKK- und Hunde-Abschnitte aufgeteilt. Das Beste: Immer weht hier eine frische Brise vom Meer. Herrlich.

Das Leben im Ostseeheilbad ist beschaulich. Man liegt am Strand rum und geht ab und zu ins Wasser und mehrmals täglich die Strandpromenade entlang zur Seebrücke. Hotspot des Kaiserbads ist die Kurmuschel, wo nachmittags Kinder mit Theater belustigt werden, abends 50er-Jahre-Themenbands das leiseste Konzert der Welt geben, was dennoch einige Senioren veranlasst, die Szenerie unter Protest, mit zugehaltenen Ohren und mimisch übertrieben gequältem Gesichtsausdruck zu verlassen. In den Restaurants an der Promenade hat man sich auf die Musik der Siebziger und Achtziger konzentriert. Ergraute Rockgitarristen spielen, ebenfalls in Zimmerlautstärke, alles von Eric Clapton, Dire Straits und Huey Lewis and the News herunter, rufen ein verhalten verwegenes „Money for nothing and chicks for free!!“ zum Publikum hin, das auf Gartenmöbeln sitzt und regionale Fischgerichte verdrückt.

Kilometerlang kann man den von Buchenwäldern gesäumten, 70 Meter breiten weißen Sandstrand entlanggehen, und abends ist es so angenehm kühl, dass man sogar eine leichte Jacke braucht! Wie ausgelüftet tritt man die Heimreise an, und schon kurz nach dem Ortsschild auf einer der großen Einfallstraßen erwartet man sie: die Urban-Heat-Plage in Aggro Berlin.

Aber hier hat es übers Wochenende auch abgekühlt!!! Wieder mal alles falsch gemacht.