Was Sie alles verpasst haben, weil Sie nichts verpassen wollten

Liebe WM-Fanatiker, willkommen zurück in der Realität! Sie haben den gesamten letzten Monat ausschließlich mit Fußball-Schauen verbracht und fühlen sich jetzt etwas unterinformiert? Wir schaffen Abhilfe

Guantánamo: das fidele Open-Air-Internierungslager auf Kuba, wo George W. Bush seit bald sechs Jahren tapfer gegen das Böse kämpft. Als sich im Juni drei der 460 Häftlinge in ihrer Verzweiflung erhängten, sprach das US-Außenministerium noch von einem geschickten „PR-Schachzug“. Zwei Urteile des Obersten Gerichtshofs gegen Militärtribunale und Gegenwind aus der eigenen Partei zwangen Bush nun zu einem Kurswechsel. „Ich würde Guantánamo gern beenden“, verkündete er treuherzig auf einem Gipfeltreffen in Wien – als wäre er über die Peinlichkeit irritiert wie ein Mann, der sechs Jahre lang mit offenem Hosenstall herumgelaufen ist, weil ihn niemand darauf aufmerksam gemacht hat.

Ende für „Sabine Christiansen“: Weil Sabine Christiansen privat so erfolgreich ist (Jeans-Millionär! Paris!), beendet sie ihre ARD-Talkshow „Sabine Christiansen“, die in letzter Zeit nicht mehr so erfolgreich war (Hans-Olaf Henkel! Lafontaine!). Ab September 2007 übernimmt Günther Jauch den späten Sonntagabend im Ersten.

Sechzig Jahre Bikini: Es war der schönste Anlass eigentlich, um mal wieder „TittenTittenTitten“ abzubilden. Vor sechzig Jahren kreierte der Franzose Louis Réard das zweiteilige Badeaccessoir, das er inspiriert von den damals stattfindenden US-Atomtests auf dem Bikini-Atoll benannte. Ganz zu Recht sorgte der Bikini schon bei seiner Premiere für einen Skandal, bevor er doch die Damenmode eroberte. Puh, noch mal Glück gehabt!

U-Bahn-Unglück: In der ostspanischen Stadt Valencia sind Anfang Juli 41 Menschen bei der Entgleisung einer U-Bahn ums Leben gekommen, rund 50 wurden verletzt. Der Lokführer war mit 80 Stundenkilometern in eine Kurve nahe der Station Jesús gefahren, woraufhin der Zug entgleiste. Erlaubt waren an dieser Stelle nur 40 Stundenkilometer. Saudoof: Der Lokführer war gar kein richtiger. Er habe nur eine zweiwöchige Einführung bekommen, sagte ein Sprecher der Bahngewerkschaft.

Neonazis: Die Rechten versuchten, das Fußball-Großereignis für sich zu nutzen, allen voran die Kameraden in Brandenburg, wo es selbst zur Fußball-WM offenbar nichts zu feiern gibt. Rassistische Hetze gegen den deutschen Nationalspieler Gerald Asamoah brachte dem „Schutzbund Deutschland“ ein Verbot durch Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) ein. Mit dem Ausrufen von „No-go-Areas“ versuchte ein braunes PR-Geschwader ausländische Besucher einzuschüchtern, falls sich doch der eine oder andere Gast nach Brandenburg verirrt.

Dummheit: Natürlich ist SPD-Chef Kurt Beck nicht der italienische Problembär JJ1, den man abschießen wollte. Die Titanic forderte das trotzdem auf ihrer Titelseite, rein satirisch natürlich – und bekam prompt Post von Becks Rechtsbeistand. Eine einstweilige Verfügung sollte den Abschuss verhindern, äh, den Verkauf des Heftes stoppen. Aber, schade, schade, alles zu spät: Die bereits ausgelieferten Exemplare des Heftes bleiben an den Kiosken liegen „und müssen laut Beschluss nun so lange verkauft werden, bis alle weg sind“, heißt es bei der Titanic. Und Beck? Grummelt weiter, während der wahre Problembär JJ1 … na, Sie wissen schon! Er ruht in Unfrieden.

Held, zu kurz gekommener: der Astronaut Thomas Reiter. Am 6. Juli hat er als erster Deutscher die Weltraumstation ISS betreten. Und von dort sendet er das wirklich wahre Image der Deutschen zurück auf die Welt: Während zwei Kollegen Schäden an der Station reparieren, sammelt Reiter Müll. Rund 2.150 Kilogramm davon sowie defekte und nicht mehr benötigte Teile wird die Raumfähre am 17. Juli zurück zur Erde bringen. Chapeau!

Eheschließung: Ein sehr berühmter deutscher TV-Moderator hat seine langjährige Lebenspartnerin geheiratet. Wo genau und unter welchen Umständen die Zeremonie mit wem eigentlich stattgefunden hat, welche Gäste da waren und was es zu essen gab – darüber zu berichten hat Günther Jauch den Medien untersagt.

Israel: Ein Soldat wird entführt und seine Kameraden rücken an, um ihn zu befreien. Ein schlechter Film? Kein schlechter Film! Die israelische Armee besetzt seit Ende Juni immer wieder den Gaza-Streifen, zuerst im Süden, dann im Norden. Und die Palästinenser wehren sich, schießen Raketen, errichten Schutzwälle. Doch der Soldat, der 19-jährige Gilad Schalit, bleibt entführt. Und die Lage ist angespannt wie eh. Im Nahen Osten wenig neues.

T-Com: Das Telekommunikationsunternehmen lieferte ein interessantes Fallbeispiel für PR-Strategen. Was könnte gegen einen hässlichen Imageschaden nach einem Dopingskandal bisher unerreichten Ausmaßes helfen, um die Marke des Sponsors trotzdem positiv besetzt zu halten? Eine WM wie diese. Dank ihrer verschmerzt T-Com auch den immer tragischen, nun leider eigenblutdope-verdächtigen und Tour de France gesperrten Werbeträger Jan Ullrich. Ab jetzt zählen die T-Com-Liga-Profis!

Schulter: Dieses Körperteil hat sich der Schauspieler Ottfried Fischer verletzt, als er nach einer Autopanne unfreiwillig über eine Leitplanke hechtete. Auf der Intensivstation konnte er dann über weitere Pannen nachdenken: Die Trennung von der Wiener Geliebten Michaela Z., nachdem er von deren Rotlichtvergangenheit erfahren hatte, und die Trennung von der bayerischen Ehefrau Renate, nachdem sie von der Geliebten erfahren hatte. Mittlerweile hat man sich angeblich wieder versöhnt im Hause Fischer.

Raucher: Sind oft militante, ohne Sinn für ihre Mitmenschen ausgestattete, das Grundrecht auf die körperliche Unversehrtheit in mindestens zwei Fällen (das eigene und das des Nächsten) missachtende Gesundheitszerstörer der ganz üblen Sorte. Am besten sollte man sie in speziell vorgesehenen Bereichen sich selbst zurauchen lassen. Endlich bewegt sich nun auch die Regierung in diese Richtung: „Es muss Schluss damit sein, dass abstrakte Gefahren wie die Vogelgrippe in Deutschland mehr beachtet werden als konkrete Gesundheitsschäden durch das Rauchen“, sagte Bundesgesundheitsbewahrer Horst Seehofer. Nicht gesagt hat er: Autos verpesten die Luft, Flugzeuge auch. Und in beiden kann man sterben. Verbieten würde sie aber niemand. Einsperren auch nicht.

Einsatz: 780 Soldaten der Bundeswehr, so hat es der Bundestag beschlossen, sollen die Wahlen in der demokratischen Republik Kongo schützen. Aber keine Sorge, zu Weihnachten sind alle wieder daheim, sagt der Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU). Weshalb Sie diese Information eigentlich getrost sofort wieder vergessen können. Beziehungsweise den Bundesverteidigungsminister.

Führer: Ja, es gibt ihn immer noch. Jüngst mal wieder erschienen in Gestalt einer Knollennasenfigur von Walter Moers, dessen jüngstes Werk „Der Bonker“ sehr lustig gelungen ist. Ob das dem uns demnächst heimsuchenden Hitler-Wiedergänger Helge Schneider in Dani Levys Film „Mein Führer – Die Wirklich Wahrste Wahrheit Über Adolf Hitler“ auch gelingen kann? Filmstart ist im Januar 2007. Trotz seines versöhnlichen Beinamens wesentlich weniger lustig: Der „Liebe Führer“ Nordkoreas, Kim Jong Il. Dieser hat kürzlich Langstreckenraketen getestet. Sind aber gleich ins Wasser gefallen.

Opa aus der Muppet Show: Joschka Fischer, Ex-Grünenchef und zukünftiger Princton-Professor, hat entgegen seiner Ankündigung im Abschiedsauftritt (taz vom 27. 6. 2005) das Wort an seine Partei erhoben. Prompt tauchen die Grünen wieder in den Nachrichten auf: Streit um die Profilierung der Partei und um potenzielle Koalitionspartner. Wirklich wahr das alles.

Rund-um-die-Uhr-Einkaufen: damit Fußballfans auch nach dem Spiel nicht auf dem Trockenen sitzen. Taten sie auch nicht: Sie saßen in vollen Kneipen mit Live-Fußball. Die meisten Läden hingegen blieben leer, besucht nur von einigen Fußballmuffeln, die einmal einen ganzen Supermarkt für sich allein haben wollten. Nicht zu vergessen: die bedauernswerten KassiererInnen, die laue Sommerabende an leeren Kassen verbringen mussten. Das Ganze gilt als Testlauf für laxere Ladenschlussgesetze.

Ministerpräsidenten gegen Merkel: Die CDU-Landesherren Koch, Stoiber, Wulff etc. pp. hatten endlich Gelegenheit, sich die Lehren der Emanzipation nutzbar zu machen. Wenn die Frau die ganze Zeit im Stadion abhängt und außer Fußball nichts wirklich Wichtiges mehr im Kopf hat, nutzt Mann die Zeit für eine kleine häusliche Rebellion. War ja ziemlich klar, dass die Männchen in den Medienredaktionen sofort auf den Alphamännchen-Aufstand mit folgendem Koalitionskrach einsteigen würden. Girlslike as can be! SL, DOS, FRA, KSP, KUZ