Rhetorische Raketen starten in Tokio

Unter dem Eindruck nordkoreanischer Raketentests drohen japanische Politiker Pjöngjang mit Gewalt

TOKIO taz ■ Den Auftakt hat Außenminister Taro Aso am Wochenende gemacht: Japan könne nicht die Hände in den Schoß legen und warten, bis Nordkorea angreife. Kabinettssekretär Shinzo Abe nahm den Faden auf: Es sei zu prüfen, ob die pazifistische Verfassung einen Präventivschlag auf nordkoreanische Raketenstellungen zulasse. Und gestern titelte Japans auflagenstärkste Zeitung, die konservative Yomiuri: „Angriff ist die beste Verteidigung.“ Die Regierung müsse prüfen, welche Waffen geeignet wären, um feindliche Basen zu zerstören, forderte der Kommentator.

Die scharfen Töne konservativer Kreise scheinen im Volk auf Zustimmung zu stoßen. Seit Nordkorea vor einer Woche sieben Raketen abfeuerte, stiegen die sicherheitspolitischen Hardliner in der Wählergunst: 48 Prozent der Bevölkerung wünschen sich inzwischen Shinzo Abe als Nachfolger für Ministerpräsident Junichiro Koizumi. Dies zeigt eine Umfrage der Nachrichtenagentur Kyodo.

Abe, dem die besten Chance eingeräumt werden, im September Koizumi abzulösen, baute damit den Abstand auf Yasuo Fukuda aus – ein ehemaliger Regierungssprecher, der viel Wert auf bessere Beziehungen zu Südkorea und China legt.

Der japanische Ministerpräsident wird zwar nicht vom Volk gewählt, sondern von den Parlamentariern der Regierungspartei. Doch sind die Meinungsumfragen nicht ohne Einfluss und werden manche Volksvertreter bei ihrer Wahl leiten.

Südkorea, das UN-Sanktionen gegenüber Nordkorea ablehnt, hat Japan inzwischen beschuldigt, den Frieden in Nordostasien zu gefährden. Die Raketentests dienten Tokio als Feigenblatt, um „die Militarisierung Japans zu rechtfertigen“. In einer Erklärung des Präsidialamts in Seoul hieß es, man werde entschieden auf die „Arroganz und Rücksichtslosigkeit“ Tokios reagieren. Ein Regierungssprecher unterstellte der Ex-Kolonialmacht eine „militante Natur“.

Damit driften die Beziehungen der beiden Nachbarländer auf einen neuen Tiefpunkt zu. Im Schatten der Raketenkrise schwelt bereits ein Territorialdisput: Südkorea intensiviert seit Wochen die Nutzbarmachung einer von beiden Staaten beanspruchten kleinen Inselgruppe, die auf koreanisch Dokdo und auf japanisch Takeshima genannt wird und sich im Ostmeer (koreanisch) oder Japanische See (japanisch) befindet.

Mit seiner harten Haltung im Raketenstreit eckt Japan auch im UNO-Sicherheitsrat an: In einem von Tokio eingebrachten Resolutionsentwurf werden Wirtschaftssanktionen gegenüber Nordkorea verlangt. China geißelte den Resolutionstext als „Überreaktion“. Die Spannungen würden dadurch verschärft. Russland, ebenfalls eine Vetomacht, stellte sich hinter China.

Washingtons Sonderbeauftragter für die Verhandlungen mit Nordkorea, Christopher Hill, begrüßte offiziell den Entwurf aus Tokio. Allerdings gefährden die USA damit ihr wichtigstes Anliegen: eine geeintes Auftreten gegenüber Pjöngjang.

Der Sicherheitsrat erzielte am Montag keine Einigung über das weitere Vorgehen. US-Unterhändler Hill wurde gestern überraschend zu neuen Beratungen nach Peking entsandt. Washington habe um „weitere Diskussionen“ gebeten. Er wollte sich mit Vizeaußenminister Wu Dawei treffen, der nach einem zweitägigen Besuch Nordkoreas nach Peking zurückgekehrt war.

In Südkorea begannen derweil eine weitere Runde der innerkoreanischen Versöhnungsgespräche. Südkorea hatte angekündigt, das Ministertreffen zu nutzen, um seine Position zu den Raketentests deutlich zu machen und das kommunistische Nachbarland zur Rückkehr zu den festgefahrenen Sechs-Länder-Verhandlungen über dessen umstrittenes Atomprogramm zu bewegen. MARCO KAUFFMANN

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