„Ich erwarte viel von den Menschen, die zu mir kommen“

AYURVEDA In der traditionellen indischen Medizin muss der Patient bereit sein, mit seiner Lebensführung an der Genesung mitzuarbeiten. Dann ließen sich damit alle chronischen Krankheiten heilen, sagt die Kardiologin Kalpana Bandecar aus Hannover

VON ANDREA SCHARPEN

„Wollen Sie mit 80 Jahren schieben oder geschoben werden?“, fragt Kalpana Bandecar ihre Patienten im ersten Beratungsgespräch. Seit fast zehn Jahren führt die Kardiologin eine Praxis für Ayurveda-Medizin und Yoga-Therapie in Hannover und motiviert ihre Patienten zu einer gesünderen Lebensführung.

„Ayurveda bedeutet Wissen vom Leben des Menschen“, erklärt die 47-Jährige. Durch eine bewusste Ernährung, Yoga, die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln wie Vitaminen, Mineralien oder Spurenelementen, die Verabreichung von Mineralaschen und ayurvedische Massagen können laut Ayurveda Krankheiten geheilt und das körperliche und seelische Befinden verbessert werden. Dieser ganzheitliche Ansatz schließt auch die Psyche der Patienten in die Behandlung ein.

„Alle Krankheiten sind auf ein seelisches Ungleichgewicht zurückzuführen“, glaubt Bandecar. Umwelteinflüsse oder eine falsche Ernährungsweise hätten nur eine verstärkende Wirkung. „Ich erwarte deshalb viel von den Menschen, die zu mir kommen. Sie müssen ihre Lebensweise verändern wollen“, sagt Bandecar. Mit der traditionellen indischen Heilkunst könnten „alle chronischen Krankheiten und Symptome behandelt werden“ – auch Krebs, Rheuma oder Herzerkrankungen. „Solange die Menschen gesund werden wollen“, betont Bandecar, die ihr Studium an der Medizinischen Hochschule Hannover mit einer Promotion über Leukämie abschloss. „Ich sehe mich heute als Brücke zwischen der ayurvedischen Medizin und der Schulmedizin.“

Lungenkrebs geheilt

Denn auch die ayurvedische Lehre studierte die Kardiologin, einer Tradition ihrer indischstämmigen Familie folgend, drei Jahre lang an einer Universitätsklinik – in der indischen Stadt Nadiad. „Es war beeindruckend“, erinnert sich Bandecar. „Ich habe dort Dinge gesehen, die in der Schulmedizin schier unmöglich gewesen wären.“ Mit Hilfe von Kuren, der richtigen Ernährung und ayurvedischen Massagen seien tödliche Krankheiten geheilt worden.

„Ich erinnere mich an den Fall einer Frau mit Lungenkrebs“, sagt Bandecar. Deutlich seien auf einem Röntgenbild der Lunge Metastasen zu sehen gewesen. Eine sogenannte Panchakarma-Kur wurde angewendet. „Das sind Maßnahmen, um den Körper zu reinigen.“ Die Patientin habe den Butterschmalz Ghee getrunken, um Schlacke und Ablagerungen aus dem Körper zu waschen. Diese würden durch Abführen oder Erbrechen aus dem Körper geleitet. „Die Vorstellung ist, dass Krankheiten deshalb entstehen, weil der Körper sich an einer bestimmten Stelle nicht mehr selbst reinigen kann.“ Bei der indischen Patientin habe die Kur gewirkt: „Nach sieben Wochen waren keine Metastasen mehr auf dem Röntgenbild zu erkennen“, sagt Bandecar. Und auch die Herzfunktionen eines Infarkt-Patienten hätten sich nach drei Jahren Behandlung vollständig normalisiert.

Im Vorfeld gegenlenken

In ihrer Privatpraxis in Hannover sind Patienten mit solch schweren Krankheitsfällen die Ausnahme. „Meist kommen gesundheitsbewusste Menschen zu mir, die erkannt haben, dass sie gar nicht erst krank werden müssen, sondern vorher gegenlenken können.“ Denn die Behandlung setze nicht erst an, wenn bereits Krankheitssymptome vorhanden seien. „Ayurveda ist ursachenorientiert und eine Lebensphilosophie.“

Auch Christian Kessler vom Immanuel Krankenhaus in Berlin ist von der Wirksamkeit der Ayurveda-Medizin überzeugt. „Trotzdem ist es kein Wundermittel“, sagt er. In den meisten Fällen setze er auf einen integrativen Medizinansatz aus Schulmedizin und Naturheilkunde, erklärt der auf Ayurveda spezialisierte Mediziner. So könne etwa die Behandlung von Krebs durch Ayurveda unterstützt werden. „Es regt den Stoffwechsel an, kann Nebenwirkungen der konventionellen Krebstherapie mindern und es unterstützt die Patienten auch psychisch“, stimmt Kessler mit seiner hannoverschen Kollegin überein. In der Gesellschaft herrsche dennoch eine große Unsicherheit gegenüber der indischen Heilkunst. „Es gibt einen großen Aufklärungsbedarf darüber, dass Ayurveda nicht nur Wellness ist, sondern Medizin“, sagt Kessler.

Ganz billig ist die Behandlung nicht. Die Erstanamnese bei Bandecar kostet rund 140 Euro – die Krankenkassen übernehmen die Behandlung nicht immer. Oft geht es um die richtige Ernährung und Bewegung. „Ein wichtiges Prinzip ist es, die Dinge zu meiden, die einem schaden“, erklärt Bandecar. Für viele Menschen sei beispielsweise das beliebte Käsebrot am Abend nur schwer verdaulich. Dafür bietet die Ärztin mit einer individuellen Ernährungsberatung und Kochkursen Alternativen an. „Ich habe über 100 ayurvedische Rezepte aus aller Welt für meine Patienten gesammelt“, sagt Bandecar, „alle mit vielen Kräutern und esslöffelweise Gewürzen wie Kurkuma, Ingwer oder Koriander.“

Grundsätzlich trügen schon kleine Änderungen in der Lebensführung zu einem besseren Wohlbefinden bei. So kräftige mehrmals tiefes Atmen in den Bauch das Verdauungssystem. „Vor allem sollte man aber nur essen, was man wirklich verträgt“, sagt Bandecar, die auch eine halbe Stunde Sport pro Tag empfiehlt. „Man muss einmal am Tag richtig aus der Puste kommen.“ Zudem sei das Trinken von warmem Wasser in den Morgenstunden gesund. „Das reinigt den Körper und ist auch das beste Antifaltenmittel.“