Fresse hau’n ist auch schön

KAMPFSPORT Boxen im Ring oder Mixed Martial Arts im Käfig – zur unterschiedlichen Popularität von Kampfsport in Europa

Gibt es einen Zusammenhang zwischen einer sportlichen Kultur des Kämpfens und dem Bildungsgrad?

Keine Sportart bringt so viel Raum für echtes Drama wie Kampfsport. Im Ring oder Käfig geht es, zwar streng choreografiert und durch Regeln eingehegt, doch immer um alles – um Sieg oder Niederlage, Triumph oder Demütigung. War es früher lediglich das Boxen, das etwa SchriftstellerInnen wie Norman Mailer oder Joyce Carol Oates zu nachdenklichen, gleichwohl hoch leidenschaftlichen Essays über diese letzte Bastion nahezu urwüchsiger körperlicher Auseinandersetzung inspirierte, so drängt seit einigen Jahren Mixed Martial Arts auf die Bühne. Jedenfalls in anderen Ländern.

In Deutschland ist Boxen der einzige Kampfsport, der ein bisschen Aufmerksamkeit in den Medien bekommt – doch die großen Zeiten nach dem Henry-Maske-Boom, als ARD und ZDF regelmäßig Kampfabende übertrugen, sind vorbei. Mixed-Martial-Arts-Veranstaltungen werden immer beliebter, der Sport, bei dem auch im Bodenkampf geschlagen werden darf, kämpft aber mit öffentlicher Ächtung, wiederkehrenden Verbotsforderungen und Ausstrahlungsverbot im Fernsehen. Kämpfer und Trainer können widersprechen, wie sie wollen: Zu brutal sei der Sport, jugendgefährdend und gewaltverherrlichend.

Das ist bei den Nachbarn ganz anders: In Polen werden Kampfabende im Fernsehen übertragen, und in Großbritannien finden MMA-Veranstaltungen mächtige Aufmerksamkeit. Der russische MMA-Kämpfer Fjodor Jemeljanenko wurde im Ring schon von Präsident Putin bejubelt. Nach seinem Rücktritt vom aktiven Sport durfte er die Olympiafackel mit gen Sotschi tragen.

In Norwegen hingegen ist sogar Profiboxen verboten, in Frankreich darf keine einzige MMA-Veranstaltung stattfinden. Was haben all diese Unterschiede mit dem jeweiligen Gesellschaften zu tun? Wie erklären sich Beobachter und Aktive die seltsam ungleichzeitigen Entwicklungen? Gibt es einen Kontext zwischen einer sportlichen Kultur des Kämpfens und Bildungsgrad? Und: Braucht eine Gesellschaft eigentlich Kampfsport? BERND PICKERT

Bernd Pickert, 48, taz-Auslandsredakteur, hat ein Herz für Blood, Sweat & Tears