Milde gegen Militärs

CHILE Die katholische Kirche fordert die Begnadigung von Menschenrechtsverbrechern der Diktatur

„Das ist unangebrachter Aktionismus, der weit über den Aufgabenbereich des Glaubens hinausgeht“

EMILIANO SOTO, EVANGELISCHER BISCHOF

BUENOS AIRES taz | Wie hält es Chiles rechter Präsident Sebastián Piñera mit verurteilten Menschenrechtsverbrechern? Anlässlich der Feiern der 200-jährigen Unabhängigkeit im September, dem „Bicentenario“, wird in Chile seit Wochen über eine Amnestie für Gefangene debattiert. Am Mittwoch hat die katholische Kirche dem Präsidenten in dessen Amtssitz ihren Vorschlag dazu übergeben. Darin schlägt die katholische Kirche auch die Begnadigung oder einen Straferlass für wegen Menschenrechtsverbrechen während der Pinochet-Diktatur verurteilte Militär- und Polizeiangehörige vor.

In den umstrittenen Passagen geht es um frühere Militär- und Polizeiangehörige, „die eine Strafe wegen Verbrechen gegen die Menschenrechte während des Militärregimes verbüßen“. Weiter heißt es, dass nicht alle in gleichen Maße verantwortlich waren. Deshalb geht es nicht um „eine generelle Begnadigung, aber auch nicht um eine generelle Zurückweisung von Begnadigungen für verurteilte, ehemalige Uniformierte“.

Weniger Haft für 70-Jährige

Unterzeichnet ist das Schreiben mit dem Titel „Chile – Ein Tisch für alle im Bicentenario“ von allen Erzbischöfen des Landes. Nach Auffasung der katholischen Kirche dient es zu einem Nachdenken über Begnadigungen und Strafmilderungen, aber auch der Modernisierung der Haftanstalten und des Strafvollzugs. Eine allgemeine Amnestie wird nicht vorgeschlagen. So regen die Bischöfe unter anderem an, das Strafmaß für über 70-jährige Häftlinge und für in Haft sitzende Mütter von minderjährigen Kindern zu senken.

Vor dem Präsidentenpalast hatten Menschenrechtsgruppen gegen den Vorschlag der Bischöfe protestiert. „Es geht darum, dass sich der Staatsterrorismus nicht wiederholt, die Demokratie weiter gefestigt wird und die Würde Chiles erhalten bleibt,“ sagte die Vorsitzende der Vereinigung der Familienangehörigen der Verhaftet-Verschwundenen, Lorena Pizarro. Mindestens 35 ehemalige Militär- und Polizeiangehörige, die wegen Menschenrechtsverbrechen zu Haftstrafen zwischen zwei und 15 Jahren verurteilt sind, könnten von der vorgeschlagenen Amnestie profitieren. Eine Begnadigung von zu lebenslanger Verurteilten Haft ist ausgeschlossen. Sollte es zu Begnadigungen von Menschenrechtsverbrechern kommen, werde man notfalls vor internationale Gerichte ziehen, so Pizarro.

Auch der Vorsitzende der Vereinigung evangelischer Kirchen, Bischof Emiliano Soto, kritisierte den Vorschlag. Es handele sich um „unangebrachten Aktionismus, der weit über den Aufgabenbereich des Glaubens hinausgeht“, sagte Soto. Gleichzeitig kündigte er einen Vorschlag der evangelischen Kirchen an, der ein nationales Rehabilitations- und Wiedereingliederungsprogramm vorsieht. Niemand soll ausgeschlossen werden, aber „es gibt Extreme wie Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, bei denen die Strafe verbüßt werden muss, so Bischof Soto.

Die Regierung versucht jetzt erst einmal, die Wogen zu glätten. Regierungssprecherin Ena von Baer rief zu „Vertrauen und Geduld“ auf. Der Präsident werde den Vorschlag der evangelischen Kirchen abwarten und dann in Ruhe eine Entscheidung treffen.

Chile feiert am 18. September 2010 den 200. Jahrestag des Beginns seiner Unabhängigkeitsprozesses von Spanien. Bis dahin muss Präsident Sebastián Piñera sagen, wie er es mit verurteilten Menschenrechtsverbrechern hält. JÜRGEN VOGT