Schmierstoff für die Unabhängigkeit

Nicht nur Europa, auch der Kaukasus und Zentralasien wollen in ihrer Energiepolitik unabhängig von Russland sein. Hilfe erhalten sie von den USA. Und die zentralasiatischen Despoten scheffeln das Geld

BISCHKEK taz ■ Seit dem 4. Juni sprudelt kaspisches Öl in die Tanker am türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan. Der schwarze Schmierstoff aus den Ölfeldern in der einstigen Sowjetrepublik Aserbaidschan hilft, den Rohstoffhunger zu stillen, ohne zuvor durch vom Kreml kontrollierte Röhren geflossen zu sein. In diesem Jahr fertig gestellt werden soll eine parallele Gaspipeline, die den flüchtigen Kraftstoff aus der kaspischen Region in die Türkei pumpt.

Die EU unterstützt die Idee, mithilfe einer Pipeline mit dem klingenden Namen Nabucco das kaukasische Gas von der Türkei bis kurz vor Wien fließen zu lassen und eine Alternativversorgung zu der bisher übermächtigen russischen Gazprom aufzubauen. Die 4,6 Milliarden Euro teure Pipeline könnte 2011 fertig gestellt sein. Über 6 Millionen Euro kostet die EU allein die Machbarkeitsstudie. Mit einigen Jahren Verspätung schwenkt sie im Energiepoker um die kaspischen Rohstoffe auf die von den USA vorgegebene Strategie ein.

Bereits seit dem Zerfall der Sowjetunion 1991 verfolgten verschiedene US-Regierungen beharrlich das strategische Ziel, die rohstoffreichen Regionen im Kaukasus und in Zentralasien mit den Weltmärkten zu verbinden – und sich gleichzeitig aus der Gefangenschaft des russischen Pipelinemonopols zu lösen. Der damalige US-Präsident Bill Clinton ließ es sich nicht nehmen, 1994 den Spatenstich für den Bau der Baku-Tiflis-Ceyhun-Pipeline (BTC) zu setzen. Die Anwaltskanzlei von Exaußenminister James Baker beriet das von BP angeführte BTC-Konsortium.

Politischen Interessen gehorchend, umgeht die Pipeline den Iran und führt von Aserbaidschan durch Georgien und die Türkei. Zudem macht sie einen teuren Bogen um Armenien, Russlands letzten verbliebenen Verbündeten im Kaukasus. Moskau heizte in der Planungs- und Bauphase die schwelenden kaukasischen Krisenherde vor allem in Georgien an und unterstützte die separatistischen Gruppen in Abchasien und Ossetien.

Seit in der georgischen Rosenrevolution 2003 Michail Saakaschwili, den USA treu ergeben, Präsident wurde, polemisieren der wirtschaftlich angeschlagene Kaukasusstaat und Russland gegeneinander. Sie beschuldigen sich gegenseitig, Terroristen zu unterstützen. Die anfallenden Durchlaufgebühren für die Pipelines könnten die zerrüttende georgische Wirtschaft stabilisieren und so das Land auch wirtschaftlich aus der Abhängigkeit Russlands lösen.

Trotz der despotischen Regierungsführung des aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Alijew zählt der Staat am Kaspischen Meer zu den wichtigen Verbündeten der USA in der Region. Die Besetzung der aserbaidschanischen Enklave Berg Karabach durch armenische Freischärler führte bis heute zu frostigen Beziehungen zwischen den beiden Staaten. Da die Pipeline in Schussweite der armenischen Freischärler liegt, musste sich die Regierung in Baku vor dem Pipelinebau verpflichten, den Konflikt um die Enklave friedlich zu lösen.

Die Fertigstellung der Öl- und Gaspipelines verbessert nicht nur das Energieangebot für Europa, sondern ermöglicht es den zentralasiatischen Staaten, sich der wachsenden Dominanz Russland zu entziehen. Schon in diesem Jahr werden Tanker Öl aus Kasachstan nach Aserbaidschan bringen und diese in die BTC-Pipeline einspeisen. Kasachstan, dass im vergangenen Jahr bereits eine Pipeline nach China fertig gestellt hat, befreite sich als erstes Land in Zentralasien von dem russischen Pipelinemonopol. Dessen ungeachtet forciert seit 2002 der russische Präsident Waldimir Putin, der den Zerfall der UdSSR als politische Katastrophe begreift, eine regelrechte Rückeroberung Zentralasiens.

So versprechen der Ölkonzern Lukoil, Gazprom und das russische Aluminiumkonsortium Ruslal Milliarden-Investitionen in den zentralasiatischen Staaten. Zusätzlich bietet Russland Diktatoren wie dem usbekischen Islam Karimow politische Rückendeckung. Vor einem Jahr ließ Karimow einen Volksaufstand gnadenlos zusammenschießen. Hunderte Männer, Frauen und Kinder wurden getötet, doch Moskau bewertete das Massaker als legitimes Mittel im Kampf gegen den Terror.

Die zentralasiatischen Staaten ihrerseits versorgen den russischen Gasmonopolisten mit billigem Stoff. Im Januar verscherbelte Karimow der Gazprom 9 Millionen Kubikmeter Gas zum Vorzugspreis von 60 US-Dollar für 1.000 Kubikmeter. Ironischerweise begehrt ausgerechnet der bizarrste der zentralasiatischen Despoten gegen die russische Einkaufspraxis auf. Saparmurat Nijasow, der sich als Turkmenbaschi mit sich um die Sonne drehenden Golddenkmälern huldigen lässt, will nicht mehr den billigen Jakob für Gazprom geben. Ende Juni brach Turkmenistan Verhandlungen mit dem russischen Gasgiganten ab – und forderte nun 100 US-Dollar für 1.000 Kubikmeter. Mindestens. MARCUS BENSMANN