Gut abgehangen

Theater, Museen, Konzerthäuser – bei der Bewerbung des Ruhrgebiets um den Titel Kulturhauptstadt wurde ordentlich mit Quantität geprotzt. Doch: Wie lebt man eigentlich im Pott? Das will ein Dortmunder Künstlerkollektiv nun genau ergründen. Mit dem Fotoprojekt „Rumhängen im Ruhrgebiet“

VON BORIS R. ROSENKRANZ

Als NRW begann, für das Ruhrgebiet zu werben, damit es im Jahre 2010 Kulturhauptstadt Europas werde, machten die Politiker vor allem eins: auf dicke Hose. Gut in Erinnerung ist etwa eine Szene in Berlin, im November 2004. Peer Steinbrück, damals noch Ministerpräsident, hatte ins Konzerthaus am Gendarmenmarkt geladen, um das Revier bundesweit anzupreisen. Im Foyer bäumte sich der Sozialdemokrat – damals schon mit einem perfekten Mehrwertsteuerlächeln ausgestattet – vor einer Plakatwand auf und breitete die Arme so weit aus, als wolle er all das umarmen, was da hinter ihm angeprotzt wurde: soundsoviele Konzerthäuser, zig Museen, Dutzende Theater und so fort.

Mit einer Fülle von Kulturtempeln versuchte das Revier also zunächst, den Kulturhauptstadt-Konkurrenten Görlitz förmlich zu erdrücken. Erst nachträglich – und nach einiger Kritik an der Goliath-Pose – floss in die Bewerbung so etwas wie ein Lebensgefühl ein, eine Lebensqualität, die das Ruhrgebiet ausmacht. Und letztlich waren es nicht Theater oder Museen, die die Brüsseler Jury überzeugten, sondern eine Anekdote des Essener CDU-Bürgermeisters Wolfgang Reiniger, der in einem Video-Einspieler davon berichtete, wie er als kleiner Junge beim Fußballspielen kohleschwarze Füße bekam. Diese Geschichte, versetzt mit Bildern des heutigen, des grünen und gar nicht mehr schmutzigen Potts, führte dann zum Titel.

Bilder des Reviers, die den heutigen Lebensstil des Ruhrpöttlers transportieren, will nun auch das Dortmunder Künstlerkollektiv „artscenico“ um Rolf Dennemann zusammentragen, das den Kulturhauptstadt-Banner demonstrativ auf seiner Website trägt. „Rumhängen im Ruhrgebiet“ lautet der saloppe Titel des Projekts, für das nicht altbekannte Arbeiter-Fotos von schwitzenden Opel-Arbeitern gesucht werden, sondern Fotos, die Menschen zeigen, wie sie sich die Zeit vertreiben – und zwar in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld, vor ihrer Haustür, an der Trinkhalle nebenan, im Park. Wo man halt so stehen, sitzen oder liegen kann.

Dennemann geht es um die verschiedenen Möglichkeiten, Zeit zu verbringen, indem man sich die nächste Umgebung aneignet, raus geht, zu den anderen, kurzum: am gesellschaftlichen Leben teilnimmt, statt daheim in die Glotze zu stieren. Freilich ist ein Aufenthalt im Park nichts speziell Ruhrgebiets-typisches. Das macht man auch in Köln, Paris, Amsterdam. Weshalb Dennemann in einer zweiten Phase nach Aufnahmen sucht, die in ganz Europa aufgenommen wurden. Erst dann lassen sich die Differenzen ausmachen. Lässt sich erkennen, was das Ruhrgebiet von anderen Metropolregionen unterscheidet. Hält man in Paris auch Fleischberge über Glühkohle? Oder bevorzugt man ein Picknick mit Wein und Brot? Wahrscheinlich.

Eine Auswahl der Aufnahmen, die sowohl von Profis als auch von Amateuren eingereicht werden können, sollen Ende des Jahres im Revier und in Prag ausgestellt werden. Im kommenden Jahr folgt dann die gesamteuropäische Ausstellung, in die auch Motive aus dem Pott einfließen werden. Und etwas, mit dem das Projekt womöglich überfrachtet werden könnte: So will Dennemann, der im Off-Theater beheimatet ist, in Tanz und Theater umsetzen, was die Bilder zeigen. Das Fotomaterial bildet gewissermaßen die Grundlage für ein Stück, das beim Tanz- und Theaterfestival off limits 2007 uraufgeführt werden soll.

Es wird sich zeigen, ob es funktioniert, die Plätze und Kulissen der Bilder abermals, etwa mit Mitteln des Tanzes, zu inszenieren. Oder ob es wiederum zu dem Fehler führt, den auch die Kulturhauptstadt-Verantwortlichen erst begingen. Also auf Quantität zu setzen. Statt die Fotos einfach für sich selbst stehen zu lassen. Ohne ihren Inhalt in andere Genre zu zwängen.

Wer an dem Fotoprojekt teilnehmen und eigene Arbeiten einsenden will, sollte sich zunächst mit Rolf Dennemann in Verbindung setzen, am besten per Mail: artscenico@t-online.deInfos auch telefonisch: 0231-8634113