Das große Reinemachen

Nach der Abwahl Silvio Berlusconis staunt die Welt über Italien: Plötzlich werden Mafiosi verhaftet und Skandale aufgeklärt – selbst der saubere Exministerpräsident ist nicht mehr unantastbar

AUS ROM MICHAEL BRAUN

Von wegen Amnestie, von wegen mildes Urteil. Ein Haufen Beobachter – in Italien selbst, aber auch im Ausland – war doch eigentlich ganz sicher: Der WM-Sieg der Azzurri würde zwangsläufig zum schönen Vorwand werden, um den Manipulationsskandal im italienischen Fußball ruck, zuck unter den Teppich zu kehren. Schließlich gehörten gleich 13 der 23 glorreichen „Campioni“ zu jenen vier Clubs, die in Rom auf der Anklagebank saßen. Wollte man etwa diese Helden, wollte man ihre Fans jetzt mit der Strafversetzung in die zweite Liga bestrafen?

Man wollte. Ungerührt verhängte das Sportgericht den Zwangsabstieg samt deftiger Punktabzüge über Juventus Turin, Lazio Rom, Florenz; bloß AC Mailand bleibt in der ersten Liga, startet aber mit 15 Minuspunkten in die Saison und darf nicht in der Champions League mitkicken.

Dass nun die Politik zur Hilfe eilt, dürfen die Sünder kaum erwarten: Ministerpräsident Romano Prodi schloss Regierungsinterventionen zugunsten der gemaßregelten Vereine kategorisch aus. Völlig anders wäre der Ausgang wohl gewesen, wenn dagegen Silvio Berlusconi im April die Wahl gewonnen hätte. Direkt vor dem Urteilsspruch hatte der – man weiß nicht recht ob als AC-Milan-Eigner, ob als Oppositionsführer oder ob als TV-Besitzer, der reichlich Fußball überträgt – gefordert, der Fußballverband solle doch, bitte schön, zum „Moratorium“ greifen. Auf gut Deutsch: Juve, AC Mailand, Lazio Rom und Florenz sollten keinesfalls auf die Schnelle bestraft werden; stattdessen solle die Saison Ende August starten, als sei gar nichts gewesen – und das Sportgericht sollte derweil in aller Ruhe prozessieren, am besten bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag.

Gerade diese letzte Berlusconi-Grätsche zeigt: Der Fußball-Prozess hat Symbolwert weit über den Sport hinaus. Nicht bloß die faule Blase der verschobenen Meisterschaften ist schließlich in den letzten Wochen explodiert. Ob Sport, ob Mafia, ob Politik oder Geheimdienste – die Italiener können sich in den letzten Wochen vor Fahndungserfolgen, vor Enthüllungen, vor der Ankündigung neuer Prozesse kaum retten.

Da wäre zum Beispiel der oberste Boss von Cosa Nostra, Bernardo Provenzano: Er wurde wenige Stunden nach Schließung der Wahllokale am 13. April verhaftet; ein paar Wochen drauf fischte die Polizei gleich 35 seiner wichtigsten Gefolgsleute ab, und letzte Woche erwischte es einen sizilianischen Regionalabgeordneten aus Berlusconis Forza Italia. Was jahrelang unmöglich schien, war auf einmal machbar: die Verhaftung der Mafia-Spitze genauso wie die Identifizierung der Komplizen in der Politik.

Apropos Politik: Nur wenige Tage alt ist auch die Nachricht, dass gegen Berlusconi selbst im November ein neuer Prozess eröffnet wird, wegen Bilanzfälschung, Unterschlagung und Steuerhinterziehung. Er, der fünf Jahre an der Regierung damit verbrachte, sich mit dem Drehen an zahlreichen Gesetzen endlich aus der Schusslinie der Justiz zu bringen, sitzt trotzdem wieder auf der Anklagebank.

Dazu noch muss er bald womöglich auch einige unangenehme Fragen zu Politikfeldern beantworten, die ausnahmsweise mal nicht mit seinen persönlichen Interessen zu tun haben. Die Staatsanwaltschaft von Mailand jedenfalls hat herausgefunden, dass seine Regierung wohl das Land belogen hat: Drei Jahre lang leugnete Berlusconi, von der Entführung eines ägyptischen Imams in Mailand durch CIA-Agenten im Jahr 2003 auch nur die leiseste Ahnung gehabt zu haben. Doch Italiens Geheimdienst SISMI war offenkundig direkt an der illegalen Entführungsaktion beteiligt: Auch gegen den SISMI-Chef persönlich wird jetzt ermittelt. So recht kann sich in Italien keiner vorstellen, dass der Staatsdiener weder den ihm vorgesetzten Verteidigungsminister noch den Regierungschef eingeweiht hätte.

Neue Zeiten also in Italien – nicht bloß im Fußball. Fast scheint es, als habe das große Reinemachen eingesetzt, nach fünf trüben Berlusconi-Jahren, in den die Staatsanwälte sich als „verrückt“, als „anthropologisch andersartig“, als „kriminelle rote Roben“ (Originalton Berlusconi) beschimpfen lassen mussten. Ausgerechnet jener Francesco Saverio Borrelli, der als Chef der Mailänder Staatsanwaltschaft jahrelang die Ermittlungen gegen den politisierenden Medienunternehmer geleitet hatte, war jetzt vom Fußballverband gerufen worden, um die Machenschaften des Netzwerks um Juve-Sportdirektor „Lucky Luciano“ Moggi aufzuklären.

Wäre es wirklich so, dann würden die Ermittlungen um die „piedi puliti“ – die „sauberen Füße“ der Erstligakicker – jenen Durchbruch symbolisieren, der 1992 bei den Korruptionsverfahren um die „mani pulite“ – die „sauberen Hände“ der Politiker – nicht gelungen war: 1994 wählte das erzürnte Volk ausgerechnet Berlusconi.

Von vorschneller Euphorie ist jedoch abzuraten. Einhellig kommentieren die Zeitungen, der Spruch des Sportgerichts sei ja bloß das Urteil der ersten Instanz, und setzen, mit italienischer Skepsis gewappnet, nach: Am Ende werde die Strafe dann „viel milder“ ausfallen. Einen prominenten Fürsprecher hat die Schwamm-drüber-Linie – ausgerechnet Clemente Mastella, Prodis Justizminister.