Eine freundliche Übergabe

WHISTLEBLOWER Beim Gespräch mit dem NDR verzichtet Edward Snowden auf Sensationsenthüllungen. Seine Botschaft lautet: Meine Arbeit ist getan, jetzt sind die Medien dran. Das ist taktisch klug – und eine Ermutigung

Snowden ist zu einer Ikone geworden, der religiöse Zugeständnisse gemacht werden

VON MARTIN KAUL

BERLIN taz | Jedes Ballett braucht eine Choreografie – einen Plan also, der einen Spannungsbogen erzeugt, damit aus dem Tanz mehr wird also nur eine Bewegung. Damit die Aufführung zum Drama wird.

Ganz ähnlich verhält es sich mit der Politik: Ohne eine gute Choreografie, die die Spannung hält, sind Politikerworte nur Worte und Politikertaten nur Taten. Und am Ende lohnt es sich meist gar nicht, zuzuschauen.

Edward Snowden im großen Exklusiv-Interview – das war die Verheißung, mit der der Norddeutsche Rundfunk lange und zudringlich für seinen Ausstrahlungstermin um diese späte Uhrzeit am Sonntagabend geworben hatte. Was der Sender dann bot, war inhaltlich eine Enttäuschung. Zumindest für jene, die darauf hofften, dass der vielleicht mächtigste Whistleblower der jüngeren Geschichte mit neuen Enthüllungen vor die Welt treten würde. Mitnichten.

Snowden sagte, dass er richtig findet, was er getan hat. Okay. Snowden sagte, dass die NSA Wirtschaftsspionage betreibe. Bekannt. Snowden stellte Fragen, die längst auch andere stellten – zum Beispiel, ob es plausibel sei, dass die USA nur Angela Merkel ausspionierten und keine anderen deutschen Politiker. Und Snowden sagte schließlich, dass US-Regierungsvertreter ihn gern töten würden. Das hat er allerdings auf der gleichen Homepage gelesen wie der Rest der Welt.

Wer wissen will, wie Nachrichten gemacht werden, möge die Meldungen der letzten Tage studieren. Da wurde aus jedem dieser Sätze eine Nachricht. Am Montag forderte die Opposition im Bundestag erneut Asyl für Snowden, die Regierung wies das erneut zurück – und Cem Özdemir wollte zudem, dass Angela Merkel sich für die Belange des deutschen Mittelstands interessiere, abhörtechnisch.

Das alles gehört zu einer Choreografie des Mittelmaßes. Es ist zwar von Belang, aber doch stets auch so erwartbar. Diese Choreografie hat einen einfachen Grund, der letztlich ein schlechter ist: Der US-amerikanische Staatsbürger Edward Joseph Snowden ist längst zu einer internationalen Ikone geworden, der allerhand religiöse Zugeständnisse gemacht werden. Wie es sich mit Führern so verhält, reicht es auch in diesem Fall bereits, dass er etwas sagt. Im Rampenlicht kommt Snowden die erste Rolle zu.

Aber was hat der Mann eigentlich wirklich gesagt? Wer zugehört hat, stößt auf Beachtliches. Es ist eine Wortmeldung aus dem Reich einer Choreografie der Stille, der Zurückhaltung. Sie verzichtet auf große Effekte, es geht ihr um die Substanz.

Nicht er, sagt Snowden, wolle sich anmaßen, über weitere Enthüllungen zu entscheiden, sondern die Journalisten sollten das tun, die über seine Daten ja längst verfügen. Sie müssten abwägen, was von Belang sei und was nicht. Das wirkt anständig und ist taktisch klug, denn so bringt sich der Whistleblower nicht noch stärker in die Position jenes Staatsfeindes, zu dem er ohnehin gemacht wird.

Wer Snowden damit ernst nimmt, muss aber auch erkennen: Er bekennt sich zu einer Rolle in der Gegenwartsgeschichte, in der er seinen Teil der Arbeit erledigt hat. Von ihm in der Substanz noch Neues zu erfahren, ist übertrieben und nicht nötig. Es verortet den Informanten an einem falschen Platz.

Für den Whistleblower im russischem Asyl bringt das allerhand Probleme mit sich. Tatsächlich fragen sich viele Menschen zu Recht: Gibt es – nach der Sache mit Frau Merkels Handy – eigentlich noch irgendeine mögliche Enthüllung, die, beispielsweise in Deutschland, regierungsamtliche Empörung auslösen könnte?

Solange das nicht der Fall ist, wird sich auch an der menschenrechtlich ausweglosen Lage des Whistleblowers im russischen Asyl nicht viel ändern. Das ist ja tatsächlich dramatisch.

Umso beachtlicher ist die Besonnenheit und Kühle, mit der Snowden darauf reagiert. Da sitzt ein junger Mann, der sich nicht auf die Choreografie der größtmöglichen Spannung, der stets neuen Enthüllung einlässt. Es gibt für ihn kein Drama.

Wenn dieser Selbstdarstellung zu trauen ist, lässt sich nun fragen: Wie ist eigentlich heute und künftig sicherzustellen, dass Leaks solcher Größenordnungen – in Snowdens Fundus sollen sich 1,7 Millionen Dateien befunden haben – solide zu bewerten und zu bearbeiten sind?

Welche journalistischen Arbeitsformen, welche Recherchemittel und Ressourcen sind nötig, um einer Aufklärungsarbeit gerecht zu werden, die sich, wie Snowdens, an der Substanz reibt, die nicht angewiesen ist auf kundige Erlöser? Wo lässt sich investigativer Journalismus hierzulande eigentlich verorten (siehe Text unten)? Und was sind die Arbeitsweisen, die seine Zukunft ausmachen? Das sind Fragen, die sich aus jenem Fernsehabend doch ergeben. Edward Snowden spielte dabei schon die erste Rolle. Aber so schön ruhig und leise.

Jetzt sind andere dran.