Bange Blicke in den Himmel

15 Jahre nach dem Bürgerkrieg wird der Beschuss Beiruts für die Bewohner schon wieder Alltag. Ausländer verlassen in Massen die Stadt

„Solange wir können, lassen wir es uns noch gut gehen“

AUS BEIRUT MARKUS BICKEL

Auf die Corniche traut sich am Sonntagmorgen niemand mehr. Die lange Fußgängermeile, das ganze Jahr über belebte Joggingstrecke der Beiruter, ist völlig verwaist. Draußen im Meer vor der libanesischen Hauptstadt liegt ein israelisches Schiff, die Spitze des Leuchtturms am Westende der Uferstrecke ist seit Samstagnachmittag zerschossen. Auch das direkt am Fuße des Turms gelegene Palas-Café bleibt geschlossen. Wasserpfeife rauchen und am türkischen Kaffee nippen, während die Wellen gegen die kleine Ummauerung klatschen, müssen die Stammgäste jetzt zu Hause.

Westbeirut am Morgen des fünften Kriegstages: War es am Samstagvormittag noch ruhig geblieben, so begannen die Bombenangriffe auf die rund vier Kilometer von der Corniche entfernten schiitischen Stadtviertel Beiruts am Sonntag schon gegen halb zehn Ortszeit. Mindestens zehn Einschläge allein bis halb elf waren in der Innenstadt zu vernehmen, auch kurz nach Mittag schlugen die Kampfjets wieder zu.

Die Geschwindigkeit, mit der der durch die Entführung zweier israelischer Soldaten durch Hisbollah-Einheiten am Mittwoch ausgelöste Konflikt eskaliert, ist verheerend. Seitdem Kämpfer der Hisbollah (Partei Gottes) am Freitagabend ein vor Beirut stationiertes israelisches Kampfschiff beschossen, stellen sich die Bewohner auf einen langen Konflikt ein. Die meisten Straßen sind menschenleer, den Bombeneinschlägen folgen quietschende Reifen, hektisch versuchen die Fahrer zurück in eine feste Behausung zu kommen.

In den offenen Läden bilden sich schon seit Donnerstag lange Schlangen. Literweise Wasser, Brot und andere Grundnahrungsmittel gehen über die Ladentische. Auch an den Tankstellen ist Geduld gefragt: Um die schon seit den Angriffen auf zwei Kraftwerke überall in Betrieb befindlichen Generatoren am Laufen zu halten und genügend Sprit für eine mögliche Flucht zu haben, decken sich die Menschen ein. In manchen Teilen Beiruts war die Stromversorgung am Freitag mehr als zwölf Stunden unterbrochen, auch am Samstag und Sonntag kam es zu Ausfällen.

In Massen verlassen die in Beirut lebenden Ausländer die Stadt. Die deutsche und die Schweizer Botschaft brachten in Bussen schon am Freitag rund 150 Menschen in die syrische Hafenstadt Latakia. Auch italienische, US-amerikanische und französische Diplomaten arbeiten an Evakuierungsplänen: Per Schiff sollen die Ausreisewilligen nach Zypern gebracht werden.

Während die Innenstadt bis auf den Hafen und den Leuchtturm von Zerstörungen verschont blieb, sind die Schäden der Raketeneinschläge im südlichen Stadtteil Haret Hreik verheerend. Nicht nur Zentrale und Wohnhaus von Generalsekretär Hassan Nasrallah wurden getroffen, auch eine Brücke der Stadtautobahn ist zusammengesackt. Hohe Rauchsäulen stiegen am Sonntagmorgen aus den südlichen Vorstädten auf, nachdem die israelische Luftwaffe die Nacht über mehrere Angriffswellen geflogen hatte. Zerstört worden sein soll in der Nacht auch das Gebäude des Hisbollah-Fernsehsenders al-Manar.

Nur noch vereinzelt finden sich seit Beginn der Luftangriffe Cafés und Geschäfte, die ihre Türen offen lassen. Überall leere Straßen. Die meisten Rollläden der Boutiquen und Banken auf der Hamra sind schon seit Donnerstag heruntergelassen. Die Blicke der Passanten richten sich immer wieder zum Himmel, dort, wo das Rauschen der F-16-Kampfjets herkommt. Anderthalb Jahrzehnte nach Ende des Bürgerkrieges (1975–1990) ist der Beschuss für die Bewohner schon wieder Alltag.

Einige wollen sich dem Ausnahmezustand aber nicht beugen. Die Gäste des Fast-Food-Restaurants und Cafés Wimpy auf der Westbeiruter Einkaufsstraße Hamra gehören dazu, auch gegenüber dem einladenden, von Schatten spenden Bäumen bewachsenen Campus der American University Beirut (AUB) sitzt eine Gruppe Männer vor einem Eckladen und unterhält sich.

Vor dem Geschäft türmen sich in Plastik eingeschweißte Wasserflaschen. Begehrtes Gut in diesen Tagen, wo keiner weiß, wie lange der Luftkrieg noch anhalten wird. Einer aus der fröhlich wirkenden Gruppe sitzt auf seinem Mofa und zieht an einer Zigarre. Er lacht: „Solange wir können, lassen wir es uns noch gut gehen.“ Eine Gelassenheit, die sich wohl nur jene erlauben können, die schon Schlimmeres erlebt haben.