Der Märchenprofessor von Guben

Die Einwohner des brandenburgischen Städtchens Guben haben einen neuen Ehrenbürger: den Urheber der Körperwelten-Schau Gunther von Hagens, der seine Anatomieprodukte in der Lausitz herstellen lassen will und so lebendige Arbeit schafft

AUS GUBEN BARBARA
BOLLWAHN

Selten hat der Tod für so viel Freude, Hoffnung und Dankbarkeit gesorgt wie gestern in Guben. Gunther von Hagens, bekannt durch seine morbiden Körperwelten-Ausstellungen, hat in dem vor 15 Jahren stillgelegten Werk IV der „Gubener Wolle“ die ersten neuen Mitarbeiter vorgestellt. Sie sollen in seiner Plastinationswerkstatt an der deutsch-polnischen Grenze arbeiten. In einem kopfsteingepflasterten Innenhof sitzen 22 Frauen und Männer aus Guben, viele von ihnen Langzeitarbeitslose, sowie sechs Plastinationsspezialisten aus Polen, derzeit noch tätig am Institut für Plastination in Heidelberg. Sie sitzen, schick angezogen wie für einen Sonntagsausflug, vor maroden Gründerzeithallen mit kaputten Fensterscheiben und lauschen der Zukunftsmusik des Plastinators, den viele ehrfürchtig nur „den Professor“ nennen.

„Wir haben 250 Bewerbungen bekommen, ohne dass es Annoncen gab“, sagt von Hagens, der wie immer Lederweste und Beuys-Hut trägt. „Das symbolisiert den Rückhalt in der Bevölkerung“, so seine Interpretation. In Guben, wo die Einwohnerzahl seit der Wende um ein Drittel auf 20.000 gesunken ist, ist jeder Fünfte ohne Arbeit. Deshalb wird von Hagens auch nicht müde, „die extreme Motivation“ der Gubener zu preisen. „Die meisten hätten am liebsten gleich mit dem Vorschlaghammer losgelegt.“ Er selbst begnügt sich vorerst mit einem Kompass, um sich auf dem weitläufigen Gelände zurechtzufinden. Hier will er eine öffentlich zugängliche Plastinationswerkstatt mit bis zu 300 Arbeitsplätzen schaffen und 3,5 Millionen Euro investieren.

Die Gubener, die ab dem 1. September bei ihm in Lohn und Brot stehen und bereit sind, mit der Presse zu reden, haben einen grünen Punkt an ihrem Namensschild. Ilona Wolfram ist eine von ihnen. Die adrett frisierte Blondine ist 52 Jahre alt und hat bis 1991 als Betriebsschwester in der „Gubener Wolle“ gearbeitet. Seitdem ist sie arbeitslos. „Wenn man in meinem Alter Arbeit gefunden hat, ist es fast egal, was man macht.“ Die Anstellung nennt sie „einen Glückstreffer“.

Auch Steffen Gleiche ist voll des Lobes. Der 42-Jährige war bis kurz nach der Wende Elektromaschinenbauer im Chemiefaserwerk an der Neiße, danach hat er sich mit Umschulungen, als Anzeigenverkäufer und mit einem Schlüsseldienst über Wasser gehalten. „Ich suche seit sieben Jahren eine feste Arbeit“, sagt er. Er hatte sich „auf gut Glück“ für die Plastinationswerkstatt beworben. Lange bevor das Stadtparlament im April mit nur einer Stimme Mehrheit den Verkauf des Rathauses samt des angrenzenden Fabrikgeländes an den umstrittenen Plastinator beschlossen hatte. Dass er bald nicht mehr arbeitslos sein wird, kann der ehemalige Maschinenbauer nicht in Worte fassen. „Das ist wie ein Märchen.“

Das Bild ergänzend, präsentiert sich von Hagens als Wolf und gibt Erinnerungen preis an seine Kindheit in der DDR, an die Schule, wo er „von den Gesetzen des Kapitalismus, den Wolfsgesetzen“, gehört hatte. „Dann bin ich gerne der Wolf“, verkündete er, „der hier etwas Einzigartiges aufbaut.“ Der Applaus der durch die Gesetze des Kapitalismus arbeitslos gewordenen Gubenern ist ihm sicher.

Bis zu einer Million zwei Millimeter dünne Scheibenplastinate von Menschen und Tieren will der Anatom pro Jahr in Guben herstellen lassen. Für die Forschung, für den Metzger, der sich seine tote Sau in Scheiben geschnitten ins Schaufenster hängen kann, oder für den Biologieunterricht in Schulen. „Das ist etwas für die Zukunft, was hier beginnt“, verkündet von Hagens. Einige seiner neuen Mitarbeiter sollen in Heidelberg angelernt werden, andere in China, wo er eine Plastinationswerkstatt unterhält.

Gekämpft habe er für die Ansiedlung, erzählt einer der neuen Mitarbeiter, ein 26-jähriger Gerüstbauer. Nach zwei Jahren als Hartz-IV-Empfänger ist er so dankbar für seine Anstellung bei von Hagens, dass er ihm unter dem Applaus seiner neuen Kollegen ein Präsent überreicht. „Ein Willkommensgeschenk für den Professor“, sagt er und wickelt es aufgeregt aus. Es sind Zeitungsartikel über die Ansiedlungspläne des Plastinators in Guben, die er gesammelt, aufgeklebt und gerahmt hat. Genannt hat er das Bild „Der Kampf“.