Zehntausende auf der Flucht

Immer mehr Menschen fliehen aus dem Libanon in Nachbarstaaten oder aus den südlichen Landesteilen in die Hauptstadt Beirut. Noch hält die Solidarität der Zurückgebliebenen

BEIRUT taz ■ In der von israelischen Flugzeugen seit Tagen bombardierten libanesischen Hauptstadt Beirut haben inzwischen viele Flüchtlinge Unterschlupf gefunden. In Schulen, bei Verwandten oder, wenn sie es sich leisten können, in den vielen Hotels, die das Viertel rund um die Haupteinkaufsstraße Hamra prägen. Sie kommen aus dem ganzen Land, vor allem aber aus dem an Israel angrenzenden Südlibanon. Schon am Samstag forderte das israelische Militär die Bewohner auf, die Gegend zu verlassen. Verzweifelt versuchen sie seitdem, die Hauptstadt zu erreichen.

Doch das ist schwer. Eine humanitäre Helferin aus dem südlibanesischen Saida berichtete, dass die Brücken rund um die Stadt zerstört worden seien. Der einzige noch mögliche Fluchtweg bestehe über die Berge. Für die wenig mehr als dreißig Kilometer lange Strecke braucht man inzwischen drei bis vier Stunden. Hundert Dollar verlangen die Taxifahrer – in Friedenszeiten beträgt der Fahrpreis wenig mehr als ein Euro.

Je länger die israelischen Angriffe dauern, desto schwieriger wird die Flucht aus dem Land für die, die nicht das Geld haben, sich teure Taxifahrten zu leisten. Am zentralen Busbahnhof Beirut war am Montagmittag nur noch etwa ein Dutzend Busse zu sehen, die die nordlibanesische Hafenstadt Tripoli ansteuerten. Die panischen Szenen vom Wochenende, als viele syrische Gastarbeiter auf fahrende Busse aufsprangen, wiederholten sich nicht. 100.000 Syrer sollen bereits ins noch sichere Nachbarland geflohen sein. Beobachter in Damaskus berichten, dass inzwischen 50.000 eher wohlhabende Libanesen eingetroffen sein.

Auch immer mehr Ausländer werden von ihren Regierungen in Sicherheit gebracht. Am Montag verließen etwa 450 Deutsche Beirut in Bussen Richtung Syrien. Aus den USA und mehreren europäischen Ländern sind Experten eingetroffen, um die Evakuierungen vorzubereiten. Es halten sich schätzungsweise 25.000 Amerikaner, 20.000 Franzosen und 10.000 Briten im Libanon auf.

Die Angst vor einer langen Dauer des Krieges steht den Bewohnern ganz Beiruts ins Gesicht geschrieben. Erinnerungen an die Belagerung der Stadt durch israelische Truppen 1982 werden wach. Damals galten die Angriffe nicht der Hisbollah, sondern Kämpfern der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) Jassir Arafats. Als diese sich in ihren Quartieren im Süden Beiruts nicht mehr sicher fühlten, flohen sie, unter anderem nach Hamra. Noch hält die Solidarität der mehrheitlich sunnitischen Bewohner des Viertels mit den Hauptopfern der israelischen Angriffe. Doch klingt in Gesprächen durch, dass die Gastfreundschaft bei einem Massenexodus in den Stadtteil schnell ein Ende haben könnte. MARKUS BICKEL