Indie-Flecktarn mit drei Ausrufezeichen

Beim Fritz-Radiokonzert von The Kooks und We Are Scientists passte fast alles, vom Zeitplan über den Sound bis zu den hohen Temperaturen. Da tanzten dann sogar blasierte Blondinen und Altrocker in Hawaiihemden

Damit ein Rockkonzert funktioniert, müssen zwei Bedingungen erfüllt sein: Menschen müssen sich bewegen und Menschen müssen schwitzen. Wenn zum Beispiel eine das Treiben blasiert beobachtende Blondine mit roten Ohrringklöpsen plötzlich mit der Musik mitwippt und ein Altrocker im Hawaiihemd interessiert auf einen Stuhl steigt, um die Marke der Gitarre zu erkennen, und dann hypernervös mit den Beinen zu zucken beginnt, dann kann man in seinen Notizblock schon mal schreiben: „Das Konzert funktioniert.“ Und wenn in einem Raum, der auf verstörende Weise an eine westdeutsche Schulaula der Achtzigerjahre erinnert, sich die T-Shirts und Blüschen schon nach fünf Minuten in Indie-Flecktarn verwandeln, kommt die nächste Notiz dazu: „Das ist ein ordnungsgemäßes Rockkonzert.“

Beide Bedingungen also waren erfüllt am Montagabend in den Studios von Radio Fritz, als die Kapellen We Are Scientists und The Kooks dort ein Radiokonzert gaben. Ja, sie waren sogar übererfüllt, weswegen es ziemlich flugs zu verbessern galt: „Sehr gutes Konzert“. Und drei Ausrufezeichen dahinter!!!

Eine solche Wahrheit kommt oft schlicht und erdrückend daher, wie die Luft in den Fritz-Studios. Hundert Menschen zwischen 14 und 60 Jahren hatten über die Website des Senders einen Platz auf der Gästeliste ergattert. Den enttäuschten Zuhausebleibern blieb immerhin, das Konzert live und on air zu verfolgen, ohne Schwitzen und Drängeln auf dem Sofa. Ganz egal, ob zu Hause oder im Studio: Geklungen hat das Double Feature erstaunlich gut.

Doch Soundqualität allein ist noch kein Ticket zum Glück – wenn beide Bands noch überragend spielen, dann schon. Eingerahmt von Nachrichtenblöcken spielte jede rund 50 Minuten. Das New Yorker Trio We Are Scientists hatte bereits im Februar versucht, mit seinem zwischen Moshpit und Venushügel flanierenden Indie-Rock im Magnet-Club eine Marke zu setzen, war dort aber an der miserablen Soundanlage gescheitert. In dem Potsdamer Studio mit der auf Zwo-Meter-Fuffzig abgehängten Decke und den auf 30 Quadratmetern gepferchten Zuhörern aber ging, jawohl, alles glatt.

Zur Begrüßung bewiesen die hochqualifizierten US-Amerikaner Integrationswillen – auf Deutsch: „Guten Abend! Wir heißen Wir sind Wissenschaftler!“ Danach mussten wieder Englisch und Gitarren ran: Schon bei Lied Nummer zwei, dem Hit „Nobody move, nobody get hurt“, standen Fans, professionelle Betrachter und abendfeiernde Radiomenschen im eigenen Saft. Nur weitgehend unbekannter B-Sides-Stücke wegen gab es Gelegenheit für ein paar kurze Verschnaufpausen von all dem Zappeln, Wippen und Wiegen.

Dann kamen vier Minuten Nachrichten, und schon standen The Kooks auf der ebenerdigen Präsentierfläche, ganze 50 Zentimeter von der ersten Reihe entfernt, um ihr im Wortsinn bewegendes Gebräu aus Indie-Rockpop, Ska, Reggae und Blues durch die Leitungen zu jagen. Ohne großen Schnickschnack starteten die vier jungschen, angenehm verwirrten Briten ihr Set – mutig mit einer Ballade, der musikalischen Ortsmarke „Seaside“. Beim darauf folgenden „See the world“, einem wunderbar steil gehenden Stück, das andere Bands als Opener verwenden würden, war schnell wieder die hohe Betriebstemperatur der Scientists erreicht. Und die sollte nicht wieder fallen.

Tontechniker bekamen kühle Biere gereicht, junge Mädchen zückten Fotoapparate, um den zotteligen Kooks-Sänger Luke Pritchard von unten, von der Seite und von oben (Mann, ist der klein!) zu fotografieren. Und zwölf Songs, einen Nachrichtenblock und eine Zugabe später war bewiesen: Richtig gute Rockkonzerte funktionieren auch dann, wenn der Großteil der Zuhörer gar nichts sehen kann. DOMINIK SCHOTTNER