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betrachtet das Treiben auf Berlins Bühnen

ESTHER SLEVOGT

Diese abgründige Komödie ist toll und deshalb nicht totzukriegen. Totgekriegt werden höchstens die Herren, die sich im Haus der Witwen Abby und Martha einmieten und mit einem Cocktail aus Wein und Gift dann recht zügig ins Jenseits befördert werden. Selbstredend in bester Absicht: Die entzückenden Brewster-Ladys wollen sie nämlich Gott näher bringen. Aber da dort nur Seelen vorgelassen, ist die Frage der Entsorgung der zurückbleibenden Körper offen. So muss ein minderbemittelter Verwandter her, der sich für den US-Präsidenten hält und im Keller des Hauses den Panama-Kanal aushebt. Ein Theaterkritiker spielt auch eine zentrale Rolle. Allerdings als gutes Beispiel für die grundsätzliche Fehlsichtigkeit dieser Berufsgruppe. „Arsen und Spitzenhäubchen“ heißt der schwarze Broadwayklassiker, 1939 von Joseph Kesselring verfasst. Mit Spitzenbesetzung trumpft ab dem 31. Januar eine Inszenierung des Hamburger St. Pauli Theaters als Gastspiel im Renaissancetheater auf: mit Angela Winkler und Eva Mattes als mörderisches Old-Lady-Duo. (Renaissance-Theater: „Arsen und Spitzenhäubchen“, 31. 1.–2. 2., jeweils 20 Uhr)

Die Komödie erzählt in ihrem Subtext auch von einer aus den Fugen geratenen Welt, in der Wirklichkeit und Wahn nahtlos ineinanderfließen. Der große Knall, der die Welt einst so nachhaltig in Erschütterung versetzte, lässt sich ziemlich genau auf die Jahre 1914–1918 datieren. Mit der „Geschichte vom Soldaten“ haben der russische Komponist Igor Strawinsky und der Dichter Charles-Ferdinand Ramuz 1918 ein Gleichnis über die Ursachen dieser europäischen Katastrophe des 20. Jahrhunderts geschrieben. Der argentinische Performer und Regisseur Santiago Blaum hat den Stoff für das 21. Jahrhundert adaptiert und erzählt nun die (wahre) Geschichte eines Soldaten namens Elik, der in einer Zeit industrialisierter und ferngesteuerter Kriege als first person shooter wahlweise durch Kriegserfahrungen, Videospiele und militärische Übungssimulatoren jagt. (Sophiensaele: „Die Geschichte vom Soldaten Elik“, 31. 1.–2. 2., jeweils 20 Uhr)

Im Gorki Theater gastiert eine gefeierte Inszenierung, die Hausregisseurin Yael Ronen vergangene Spielzeit in Graz herausgebracht hat. „Hakoach Wien“ erzählt an Hand eines legendären jüdischen Sportvereins und zwei Generationen einer Familie von der Suche nach Zugehörigkeit vor der Folie von Gewalt und Krieg, von Nationalgefühl, Fußball und Männlichkeit. Der Abend umspannt drei Generationen und reicht vom Wien des Jahres 1930 bis zum Tel Aviv der Gegenwart. (Maxim Gorki Theater: „HaKoach Wien“, 1. 2. um 19.30, 2. 2. um 18 Uhr)

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