Sag mir, wo der „Change“ ist

GUTE VORSÄTZE US-Präsident Barack Obama kündigt bei seiner Rede an die Nation für 2014 ein Jahr des Handelns an. Aber durchsetzen kann er wohl höchstens sachte Korrekturen

„Ich erwarte nicht, dass ich meine republikanischen Freunde überzeugen kann“

REALIST BARACK OBAMA

AUS WASHINGTON DOROTHEA HAHN

Es war seine fünfte „Rede zur Lage der Nation“. US-Präsident Barack Obama, der mit dem Slogan „Change“ angetreten war, stellte keine großen Reformprojekte mehr vor. Stattdessen beschrieb er die Erfolge seiner bisherigen Politik, kritisierte aber auch die wachsende soziale Ungleichheit und übte da, wo er Bedarf an politischen Korrekturen sieht, zaghafte Kritik an der Blockadepolitik des US-Kongresses. Obama kündigte an, dass er verstärkt von Rechtsverordnungen Gebrauch machen will, um unabhängig vom republikanisch dominierten Repräsentantenhaus agieren zu können. 2014 werde „ein Jahr des Handelns“.

Die meisten Aktionen, die der US-Präsident ankündigt, bewegen sich im innen- und sozialpolitischen Bereich. Und einige davon sind nicht neu. Er will eine Anhebung des Mindestlohns von bislang 7,25 auf 10,10 Dollar die Stunde, kann das aber wohl nur für Angestellte, die für Bundesbehörden arbeiten, per Dekret durchsetzen. Obama will mehr Steuergerechtigkeit für Niedriglohnverdiener, mehr Weiterbildung am Arbeitsplatz und eine Verbesserung der Qualität von Vorschule und Schule.

Wie schon bei früheren Gelegenheiten, kündigt er an, dass er das Gefangenenlager in Guantánamo vor Jahresende schließen, dass er den Schusswaffenhandel stärker kontrollieren und dass er die zerrüttete Einwanderungspolitik reformieren will.

Die Gesundheitsreform, die zentrale Reform seiner ersten Amtszeit, erwähnt der US-Präsident erst nach 40 Minuten. Zur technisch komplizierten Onlineanmeldung für die Krankenversicherung sagt er gar nichts. Und die bislang mehr als 40 Versuche der republikanischen Mehrheit im Repräsentantenhaus, die Reform zu kippen, versucht er witzelnd zu entkräften. Sagt: „Ich erwarte nicht, dass ich meine republikanischen Freunde überzeugen kann.“ Stattdessen richtet er sich direkt an die Bürger und fordert sie auf, so bald und so zahlreich wie möglich neue Versicherungen abzuschließen.

In der Energiepolitik verweist Obama stolz auf den rasanten Anstieg der heimischen Gas- und Ölproduktion, dank derer die USA inzwischen weniger Mineralölprodukte importieren, als sie selber herstellen. Er rechtfertigt die Intensivierung der Gas-Produktion, die vor allem mit der umstrittenen Fracking-Methode geschieht, sowie den Ausbau sämtlicher Energiequellen: von fossilen bis hin zu erneuerbaren.

Die Außenpolitik kommt erst nach einer Dreiviertelstunde zur Sprache. Am Abzug der US-Truppen aus Afghanistan bis Ende dieses Jahres will Obama festhalten. Auch wenn dann noch kleinere Kontingente dort bleiben.

Das Zustandekommen der Syrien-Gespräche in Genf betrachtet Obama als Erfolg der „amerikanischen Diplomatie und der Drohung mit Gewalt im Hintergrund“. Und die Verhandlungen mit dem Iran interpretiert er als Erfolg der „amerikanischen Diplomatie mit der Drohung von Druck im Hintergrund“. Für den Fall, dass der US-Kongress eine Verschärfung der Iran-Sanktionen verabschiedet, solange die Verhandlungen laufen, kündigt Obama sein Veto an.

In Sachen Terrorismus scheint Obama seine Wortwahl überdacht zu haben. Im Januar 2013 hatte er gesagt, al-Qaida sei „auf der Flucht“ und Bin Laden tot. 2014 stellt er fest: „Die terroristische Bedrohung hält an.“ Und verweist auf Syrien, Jemen, Somalia, Irak und Mali.

Wie jedes Jahr hat die First Lady mehrere handverlesene Gäste mitgebracht, deren Lebensgeschichten exemplarisch für die Themen stehen, die der Präsident anspricht: die erste Frau an der Spitze des größten Autokonzerns der USA. Der Sohn von Einwanderern, der als Zehnjähriger in die USA kam, ohne ein Wort Englisch zu sprechen, und demnächst auf die Universität geht. Und die Frau, die erst seit Jahresanfang eine Krankenversicherung hat und sich wenige Tage danach einer schweren Operation unterzog, die sie ohne die Gesundheitsreform finanziell in den Ruin getrieben hätte.

Wichtigster Besucher ist der 30-jährige Cory Remsburg. Der Soldat, der schwer verletzt aus Afghanistan zurückkam, verhilft dem Präsidenten zu dem längsten – und parteiübergreifenden – Applaus. Obama beschreibt den Weg des Soldaten, seine Bereitschaft, das Beste aufzubieten, als Vorbild für die USA.

Während der Rede sitzen Obamas Vize Joe Biden und der republikanische Sprecher des Repräsentantenhauses, John Boehner, hinter dem Präsident. Biden feixt zur Unterstützung des Präsidenten. Boehner dreht immer wieder Däumchen.

Als Obama fertig ist, darf die Opposition – so will es das Ritual – antworten. Anders als früher kann die vielfach gespaltene Republikanische Partei jedoch nicht mit einer Stimme sprechen. Stattdessen tragen drei verschiedenen RednerInnen ihre jeweils unterschiedliche Kritik am US-Präsidenten vor.

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